Das Bänd(el)chen ('s Bändelche)

aus: Hausapothek u. a.

(in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten)

 

Es war ein Konzert in unserer Stadt

und alles war dabei,

eine ganz berühmte Sängerin

die kam jetzt an die Reihe;

und wie sie sich nur blicken ließ,

so schön, so elegant,

da war das ganze Publikum

schon außer Rand und Band.

 

Nur ich saß wie auf Kohlen da,

ich sage euch gleich, warum, wieso,

ein Kleidchen hatte sie angehabt,

wie sie halt jetzt modern,

ich lüge jetzt nicht, das Dekolleté,

das sehe ich sonst ganz gern,

da aber ist der ganze Staat

– es war mir angst und bang –

an so einem kleinen Bänd(el)chen

am Schulterblatt gehangen.

 

Ich habe gezittert und gebebt:

ach Gott, wenn das Bänd(el)chen nur hebt,

ich habe von allen den Arien

schier weiter nichts gehört;

das Bänd(el)chen, das Bänd(el)chen,

ich war ja ganz verstört.

 

Und wie die Sängerin beim Applaus

sich rechts und links verneigt,

und alsfort Komplimente macht

und sich so tief verbeugt,

da hat mein Herz erst recht gebebt:

ach Gott, wenn das Bänd(el)chen nur hebt.

 

So war das ganze Konzert für mich

eine Qual und kein Pläsier;

den hellen Angstschweiß auf der Stirn,

bin ich hinaus zur Tür;

doch damit aber nicht genug,

das Malheur hört noch nicht auf,

im Traum wacht schier gar jede Nacht

mir die Erinnerung auf;

da klopft mein Herz und tobt und bebt,

ach Gott, wenn das Bänd(el)chen nur hebt.

 

Lina Sommer

 

Originalschreibweise: