Die Kindtaufe I (Die Kinddaaf)

aus: Nemm mich mit, es reut dich nit

(in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten)

 

Im funkel-nagel-neuen Staat

kommt das Bübchen in die Kirche,

rings Sonnenschein und Blumenduft

und hellauf singt eine Lerche.

 

Wie sieht das kleine Menschenkind

so gescheit, so pfiffig aus,

sein Vater, der junge Kronenwirt,

kennt sich vor Freude nicht aus.

 

Fest, wie eine Mauer steht er da,

gewaschen und gebürstet,

und in seinem hellen Vaterstolz

da tauscht er mit keinem Fürsten.

 

Das Mutterchen, das betet so fromm,

faltet glück-verklärt die Hände,

die Madame Superklug, die lacht,

sie freut sich auf das Präsent.

 

Die ganze Gemeinde ist auf den Beinen

und knickst und gratuliert,

man weiß schon, dass der Kronenwirt

heute etwas Gutes spendiert.

 

Sie sitzen dann in Reih und Glied

so fest, wie angepappt,

sie schenken ein, sie trinken aus,

als hätten sie berappt.

 

Der Kindtaufsvater sieht es voll Schreck,

es wird ihm ganz überzwerch,

er simmeliert und simmeliert,

die Haare stehen ihm zu Berge.

 

Dann schleicht er sich zum Brunnen hinaus

und sagt zu sich: oh mei,

der Pfarrer hat meinen Buben getauft,

und ich, ich taufe meinen Wein.

 

Lina Sommer

 

Originalschreibweise: