Die Standuhr

aus: Grüß Gott und Im Vorübergehn

(hochdeutsch)

 

Großvater, der müde, alte,

mit dem schmalen, lieben Gesicht,

aus dem so viel Herzensgüte,

so viel Milde und Klarheit spricht,

sitzt traumverloren im Sessel,

rings Friede und wohlige Ruh,

die welken Hände gefaltet,

dem Ticken der Uhr hört er zu.

 

Eng ist er mit ihr verwachsen,

soweit er nur denkt zurück,

sie weiß von heimlichen Tränen,

von Sorgen, von Jubel und Glück.

 

Wie schlug sie ihm hell entgegen,

als sein Frauchen er führte ins Haus ,

als sein erstes, sein herziges Bübchen,

nach ihr streckt die Ärmchen aus.

Tick, tack – tick, tack,

tick, tack.

 

Die Jahre kamen und schwanden,

so mancher ging aus und ein,

die Uhr sah fröhliche Feste,

auch manch engen, schmalen Schrein.

Tick, tack – tick, tack,

tick, tack.

 

Leis kommt der Abend ins Stübchen,

Großvater im Dämmerlicht

hat heute so seltsam, so eigen

die Blicke zur Uhr gericht´.

 

Er denkt an die Kinder und Enkel,

die mitten im Leben noch stehen,

ein Lied zieht ihm durch die Seele

vom Werden und vom Vergehen.

 

Müd schließt er die alten Augen,

rings Sonntagsstille umher,

die Uhr geht leise und leiser,

auch ihr fällt ds Atmen schwer.

Tick, tack – tick, tack,

tick, tack.

 

Lina Sommer