Pfälzer Auswanderer

aus: Für Dich! - Reim und Prosa

(hochdeutsch - die direkte Rede ist in Mundart zu lesen)

 

Es war im Sommer des Jahres 1803, da wurde eines Tages in Schanden bei Zweibrücken ein hochgewachsener, biederer junger Pfälzer von seinem Vater zum Sattler geschickt, um das Pferdegeschirr zu holen, das dort in Reparatur war. Unterwegs sah er auf der anderen Seite der Straße eine Gerichtsperson („Geschworenen“) daher kommen, der ihm winkte und zurief: „du, Peter, komme einmal herüber, ich habe dir etwas im Vertrauen zu sagen:

 

Also pass auf, morgen ist Zettelziehen für die Rekruten, aber ich habe gehört, dass du gar nicht ziehen darfst. Du musst gleich einrücken, weil deine drei älteren Brüder sich freigezogen haben, und Einer aus eurer Familie muss doch dienen, das wirst du begreifen. Ich habe dir es jetzt gesagt und habe dich vorbereitet, jetzt mache, was du willst, aber verrate mich nicht.“

 

Erschrocken ging der stattliche junge Mann den Weg zurück und erzählte seinem Vater: „du, Vater, ich bin nicht zum Riemer (Sattler) gegangen, unterwegs habe ich einen Geschworenen getroffen und der hat mir dies und selbiges erzählt. Aber ich will nicht zu den Soldaten, ich will nicht in den Franzosenkrieg, lieber wandere ich aus.“

 

„Wohin willst du auswandern, besinne dich, Peter“, ermahnte der Alte.

 

„Vater, mein Plan ist schon fertig. Ich mache es, wie andere auch, ich gehe ins Ungarnland, dort werden als noch Kolonisten gesucht, die freien Grund und Boden kriegen zum Anbauen. Aber zuerst gehe ich hinüber auf Steinwenden und frage das Urschel‘s Lieschen, ob es mit mir zieht, ich denke, es lässt mich nicht allein gehen.“

 

Urschel‘s Lieschen hatte nämlich kurz vorher von ihren Eltern, die sechzehn Jahre vorher mit dem großen „Schwabenzug“ ins Ungarnland ausgewandert waren, einen Brief erhalten, in dem diese schrieben, dass es ihnen gut gehe, dass sie ihr reichhaltiges Auskommen hätten, und als freie Menschen auf eignem, freien Grund und Boden wirtschafteten, sich aber oft nach dem Lieschen sehnten, das sie damals, weil es ein sehr zartes Kind war, im Alter von zwei Jahren bei einer Schwester des Vaters in Steinwenden zurückgelassen hatten.

 

Als diese Schwester sich später verheiratete und Lieschen konfirmiert war, wurde sie als „Magd“ verdingt und sie hatte dem Peter erzählt, dass es ihr so bitterweh tue, dass sie dienen müsse, während ihre Geschwister alle den Eltern behilflich waren. Peter hatte das Mädchen, das zu einer blühenden Jungfrau herangewachsen war, getröstet auf später, nicht ahnend, dass sich so bald eine Gelegenheit bieten würde.

 

Er lief also schnurstracks nach Steinwenden zu der Familie, bei der Lieschen diente, setzte alles auseinander und als das junge Mädchen einwilligte, seine Frau zu werden, gaben der Dienstherr und seine Frau sie frei. Sie kannten ja die rechtschaffene, angesehene Familie des jungen Bauern und es musste rasch gehandelt werden, um noch rechtzeitig über die Grenze zu kommen.

 

Zunächst gingen die jungen Leute, Hand in Hand zum Herrn Pfarrer, der gleich Lieschens Papiere herausgab und die Beiden noch ein Stück Wegs begleitete. Mit den Worten: „guck, Vater, da bringe ich euch das Lieschen, wir haben uns in Steinwenden verlobt und es will mit mir gehen“, betrat Peter die große Wohnstube. Der Alte, der das Lieschen vom Kind an kannte, hieß es willkommen und Peter ging nun zu seinem „Herrn Pfarrer“, der die Papiere auch gleich aushändigte.

 

Als sie dann bei einem Krug Wein an dem mächtigen Eichentisch saßen, fragte Peter: „na, Vater, wie ist es, ich bin so weit fertig, gebt ihr mir Ross und Wagen oder muss ich mit dem Lieschen zu Fuß ins Ungarnland zu ihren Leuten?“ – „Nein, das musst du nicht. In Gottes Namen, nimm dir deine zwei Lieblingsrösser, richte den Wagen und schmiere ihn gut“, – mehr konnte der Alte nicht sagen, es war ihm schwer ums Herz.

 

Als Peter dann draußen hantierte, kam sein älterer Bruder vom Feld heim und als er erfuhr, um was es sich handelte, ging er auch zum Vater und sagte: „Vater, ist das wahr, ihr lasst unseren Peter aufs Ungarnland ziehen ?“ “Was will ich anderes machen“, meinte der Alte, „lieber soll er ins Ungarnland als in den Franzosenkrieg, da bleibt er wenigstens am Leben.“

 

„Ja, Vater“, sagt der Ältere, „dann gehe ich halt auch. Darauf könnt ihr euch verlassen, wenn sie morgen kommen und suchen, und finden sie ihn nicht, dann machen sie kurzen Prozess, und nehmen mich mit. Was wollt ihr dann anfangen mit meiner Frau und dem kleinen Kind? Also gebt mir auch zwei Rösser und einen Wagen, und ich gehe auch fort, ich gehe auf Russland zu meinen Schwiegereltern“. „In Gottes Namen“, sprach der Alte und die Augen waren ihm feucht.

 

Als der drittjüngste Sohn, der Jakob, von der Arbeit heimkam und sah und hörte, was die anderen vorhatten, da ging er auch in die Wohnstube und rief: „Aber, Vater, ist das recht? Ihr lasst die Zwei ausreisen? Habt ihr das erlaubt? Natürlich, wenn die zwei morgen fort sind, dann holen sie mich! Ich will auch nicht in den Franzosenkrieg, denkt einmal, was soll denn aus meiner Frau und unseren drei kleinen Kindern werden? Gebt mir halt auch ein Ross und einen Wagen. Ich fahre mit.“

 

Ganz gebrochen willigte der Vater ein. Die Mutter war schon lange tot, nun sollte er die drei Söhne in die weite Ferne ziehen lassen, unbekannten Schicksalen entgegen. Nur der Älteste, der schon dem Militärdienst entwachsen war, blieb im Elternhaus auf dem großen Hof. Als nun die Nacht hereingebrochen war und alles schlief, fuhren die drei Wagen vorsichtig nacheinander zum Dorf hinaus. Der Vater starrte ihnen lange nach, er wusste, es war ein Abschied auf Nimmerwiedersehen.

 

Glücklich kamen die drei Brüder mit ihren Familien bis nach Regensburg, wo sie eine gefährliche Überfahrt über die Donau zu bestehen hatten. Dann trennten sie sich. Jeder strebte seinem eigenen Ziele zu.

 

Mit einigen anderen Auswanderern kamen Peter und Lieschen in Wien an. Sie meldeten sich gleich in der ungarischen Hofkanzlei und im Ansiedelungsamte, und einer der Beamten frug nach dem Namen. „Petter Kleen“ war die Antwort. „Kannst du schreiben?“ „Ja, ich kann.“ „Gut, so schreibe mal deinen Namen mit der Kreide an die Tafel:“ „Petter Kleen“ schrieb unser junger Pfälzer, so schön als möglich.

 

Der Beamte löschte es aus, schrieb Peter Klein und bemerkte, wenn er nicht damit einverstanden wäre, dürfte er ihn nicht weiter ziehen lassen. Peter willigte ein, wurde mit Lieschen getraut und als 21 junge Paare beisammen waren, wurden sie nach Franzfeld im Banat angewiesen, wo damals noch eine Nachsiedlung mit deutschen Kolonisten stattfand.

 

Als sie dort ankamen, erfuhren sie, dass alle Felder und Hausnummern schon vergeben waren, und es wurde ihnen gesagt, dass sie höchstens den Winter über dort bleiben könnten. Das passte Peter und Lieschen nun gar nicht, denn sie wollten Arbeit und Betätigung und so verlangten sie die Weiterfahrt nach dem Orte Bulkehs, wo Lieschens Eltern wohnten.

 

Die Erlaubnis wurde ihnen gegeben unter der Bedingung, dass sie sich in den Gemeinden, durch die sie fuhren, beim Kleinrichter zu melden hätten. Als sie in dem Ort Schowe vorschriftsmäßig auf dem Gemeindehaus vorsprachen, fragte der Richter, wohin sie wollten. „Auf Bulkehs“. „Zu wem?“ „Zu Urschels“. „So, so, hier in Schowe wohnt ja auch ein Urschel, seid ihr vielleicht mit dem verwandt?“ „Das wissen wir nicht.“ „Ei, dann kommt halt einmal mit.“

 

Der Beamte führte das junge Ehepaar vor ein Haus, machte das Tor auf und rief in den Hof hinein: „He, Urschel, kommt einmal her, da bringe ich euch Deutschländer Gäste, betrachtet sie einmal, kennt ihr sie?“ „Deutschländer Gäste – ei, woher denn?“ „Von Steinwenden“, riefen Peter und Lieschen. „Von Steinwenden, – und zum alten Urschel auf Bulkehs wollt ihr – ach Gott, bist zu am Ende unsere Schwester Lieschen?“ „Ja, ich glaube schwer, – und gucke, das da ist mein Mann.“ „Und ich bin euer Bruder Karl.“

 

Die Freude lässt sich kaum beschreiben. Der ganze Ort meist Pfälzer Auswanderer, kam herbeigeströmt, was gab es da zu fragen und zu erzählen von der alten Heimat, bis tief in die Nacht hinein saßen sie beisammen. Der Bruder Karl sagte dann, dass der Vater in Bulkehs Arbeitsleute genug habe, dass es ihm selbst aber sehr an Hilfe fehle, und so wurde beschlossen, dass die jungen Leute ihr Heim in Schowe aufschlagen sollten.

 

Die Wagen und die zwei Rösser, mit denen sie die weite Reise zurückgelegt hatten, wurden vom Gemeindehause geholt und beim Bruder und Schwager Karl Urschel untergestellt. Und am nächsten Morgen spannte er seinen Wagen an und die ganze Familie fuhr zu Vater und Mutter „auf Bulkehs“. Das Glück des unverhofften Wiedersehens kann man sich ungefähr denken.

 

Drei gesegnete Jahre verblieben Lieschen und Peter in einem Anbau auf dem Hof ihres Bruders, als dessen treue, fleißige Hilfe. Dann wurden durch einen Ingenieur die Felder in Schowe neu vermessen, und jeder bekam zugeteilt, soviel er wollte, eine ganze oder ein halbe Session. Nun wohnte in Schowe ein Schneidermeister, der für sich einen halbe Session Feld verlangte. Als er sie zugeteilt bekam, erschrak er sehr, es war ihm zu viel Land, zumal auch noch ein gewaltiges Stück Wiese dazu kommen sollte. Er fürchtete sich vor der Arbeit und kurz entschlossen brannte er bei Nacht und Nebel durch auf Nimmerwiedersehen.

 

Auf dem Gemeindehause erinnerte man sich an Peter Klein; er wurde vorgeladen und befragt, ob er das herrenlose Gut, das weit vom Anwesen seines Schwagers entfernt war, übernehmen wollte. Gerne willigte er ein, nur tat es ihm leid, aus der Nähe seines Schwagers zu kommen, denn sie verstanden sich sehr gut. Bald aber fand sich ein Ausweg. Urschel rief seinen Nachbarn, schlug ihm vor – unter Draufgabe von zwei Kühen – des Schneiders Gut zu übernehmen, worauf dieser bereitwilligst einging, und so wurde Peter Haus- und Feldnachbar von seinem Schwager Karl Urschel.

 

Lieschen und Peter hatten zwei Söhne und eine Tochter. Der eine Sohn wurde Baumeister, der zweite ging auf das Gut seiner Schwiegereltern, und als Lieschen gestorben war, da übergab Peter das Haus, Feld und Landwirtschaft dem Mann seiner Tochter, Jakob Werth, bei dem er auch, gesund und rüstig bis ins hohe Alter einen schönen, friedlichen Lebensabend verbrachte. Nachkommen dieser Familien Urschel, Klein und Werth leben heute noch als tüchtige, begüterte, freie Menschen im Ungarnland und halten die Art und die Sitte, auch die Grundsätze ihrer Pfälzer Vorfahren hoch und heilig.

 

Lina Sommer