Das Schaukelpferd

aus: Für Dich! - Reim und Prosa

(hochdeutsch)

 

Eines Tages las ich in der Zeitung eine Annonce:

Gebrauchtes Schaukelpferd billig zu kaufen gesucht.

 

Ich weiß selbst nicht, warum – das Inserat ließ mich nicht los – es war mir, als ob mich traurige Augen bittend ansehen würden. Entweder ist es ein krankes, oder ein verschämtes armes, jedenfalls aber ein gutes, vertrauensvolles Menschenkind, dachte ich mir, denn – lieber Himmel – wer frägt nach einer Adresse, wo ein gebrauchtes Schaukelpferd billig zu kaufen gesucht wird!

 

Ich holte mir also Auskunft bei der Zeitung, und es war ein weiter Weg durch enge, winklige Gassen und Gässchen (in der Großstadt Köln), bis ich vor der kleinen Parterre-Wohnung stand. Ein nettes, liebes, etwa sechsjähriges Mädchen, zwei kleine Rattenschwänzchen von Zöpfchen am Kopf öffnete, führte mich in die Stube, und setzte sich dann gleich auf den Boden, wo ein blasses, schmales Büble auf einem zerrissenen Teppich saß und mit Bauklötzchen spielte.

 

Die Arbeit in der Hand, kam mir eine stille Frau entgegen, fragte, womit sie mir dienen könne, und ob sie mir einige Proben zeigen solle. Dabei wies sie auf ein Monogramm, an dem sie gerade gestickt hatte, und ich wusste jetzt gleich: Heimarbeiterin! Als ich ihr erklärte, dass ich nur wegen dem Inserat kam, deutete sie auf das Büble und führte mich in die enge Schlafkammer nebenan.

 

Für wen soll denn das Schaukelpferd sein, fragte ich, und mit Tränen in den Augen erzählte die Mutter, dass ihr lungenkrankes, vierjähriges Bübchen es sich so sehnsüchtig gewünscht habe, dass es ihr so weh tun würde, wenn sie ihm eine Enttäuschung bereiten müsse, und fragte ängstlich, was das Schaukelpferd kosten solle.

 

Ich überhörte die Frage und erfuhr, dass der Vater der Kinder Schreiber auf einem großen Büro sei, gut verdiene, aber auch viel für sich brauche, da er gern elegant gekleidet gehe und auch öfters ein kleines Vergnügen beanspruche. Um dem Patientchen die vom Arzt verordnete Milch und gute Kost beschaffen zu können, hatte die Frau die Heimarbeit übernommen.

 

Im Frühjahr, sagte sie, soll mein Hansel von der Fürsorge aus fortkommen, aber wer weiß – weiter konnte sie nicht sprechen. Ich tröstete sie, dass in dem Alter ja noch alles ausheilen könne und sagte, sie möge mir am nächsten Sonntag ihren Mann schicken, ich hätte ein Schaukelpferd von meinen Kindern, das mir im Wege sei.

 

Was soll es kosten, ich möchte es gern vorher bezahlen, fragte sie. Und als ich ihr sagte, das Christkind habe es schon bezahlt, da bat sie mich, doch mal etwas für mich sticken zu dürfen. Draußen nahm ich das kleine Patientel auf den Arm, es war so abgezehrt, so leicht, hatte solch heiße Händchen, und sah mich aus seinen großen, schwarzen Augen so traurig an.

 

Gelt, Hansemännel, jetzt kommt aber bald das Christkindel; aber was hast du dir denn gewünscht, fragte ich. Ein Schaukelpferd.

 

Und du, klein Mädchen? Ich – nichts – wenn der Hansel ein Schaukelpferd bekommt, dann brauche ich nichts.

 

Ich sagte der Mutter und den Kindern ade, lief nach Hause, holte das Spielzeug vom Speicher, bearbeitete es mit Bürste und Seife und abends fingen wir dann an zu pinseln, zu malen und zu lackieren, es war ein heller Staat. Das Schaukelpferd lachte mit dem ganzen Gesicht – und wir dazu. Aus himmelblauem Glanzpapier verfertigten wir ein Prachtexemplar von einem Helm, und frischten eine alte Peitsche auf.

 

Als am Sonntag der Vater kam, in hellgelben Handschuhen, wollte er zuerst nicht recht anpacken, bis ich ihm erklärte, es würde ja wohl keine Perle aus seiner Krone fallen. Am zweiten Feiertag ging ich in die Wohnung; da drückte mir die Frau doch so dankbar die Hand, und das Hansemännel mit seinen Fieberwangen saß glückselig auf seinem Schaukelpferd.

 

Ein paar Tage später konnte der arme Schelm nicht mehr aufstehen. Er litt furchtbar an Atemnot. Die Mutter saß an seinem Bettchen und hielt und stützte das abgezehrte Körperchen. Und in der Neujahrsnacht, als die Glocken läuteten und die Engel vom Himmel herniederschwebten, nahmen sie das Hansemännel mit hinauf zu Gottvater.

 

So oft ich ein Schaukelpferd sehe, fällt mir das kleine Dulderle mit seinen traurigen Augen wieder ein, und ich bin so froh und dankbar, dass ich ihm seinen letzten Weihnachtswunsch erfüllen konnte.

 

Lina Sommer