Der Erz-Pate

aus: Dess un sell (1925)

(in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten)

 

(Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen wird, ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch)

 

„Herr Huber, Herr Huber, was ist Ihnen denn heute über das Leberlein gekrabbelt“, hat die ganze lustige Gesellschaft am Stammtisch gerufen, wie der sonst so joviale Kneipbruder hereingekommen ist mit einem Gesicht wie drei Tage Regenwetter.

 

Ihr braucht mich auch zu uzen, geärgert habe ich mich und bin nicht im Reinen mit mir, und darum wird es am besten sein, ich mache meinem Herzen Luft und erzähle euch die ganze Geschichte; vielleicht kann der Eine oder Andere noch etwas daraus lernen.

 

Also hat Gott die Welt geliebt, ihr wisst ja alle, wie seinerzeit unser einziges Töchterlein gestorben ist, haben wir ein Waisenkind angenommen, und das kleine Krottchen ist uns mit der Zeit so ans Herz gewachsen, wie wenn es unser eigenes Kind wäre.

 

Mit neunzehn Jahren hat sie sich verheiratet, es ist sonst auch alles in schönster bester Ordnung, nur mein Schwiegersohn, der Filou, der hat es sich in den Kopf gesetzt, seine Possen mit mir zu treiben und mich zum Narren zu halten.

 

Bei der ersten Kindtaufe – müssen Sie nämlich wissen – ist mir die Paten-Würde und der Wein ein bisschen in den Kopf gestiegen, ich fang in meiner rosa-roten Stimmung an, eine Rede zu halten und verspreche, bei allen Kindern, die allenfalls noch auf der Bildfläche erscheinen würden, Pate zu werden, also in dieser Familie so eine Art Erz-Paten-Rolle zu übernehmen.

 

Die ganze Sippschaft hat natürlich mit großem Hallo beigestimmt und es ist mir dann doch ein bisschen angst und bange geworden, ob ich mir selbst und meinem Geldbeutel nicht zu viel zugemutet hätte, ich habe nämlich meinem ersten Patenkind gleich ein Sparkassenbuch von zweihundert Mark angelegt.

 

Ich habe mir aber von meinen Ahnungen und Bedenken nicht anmerken lassen, und wie der neugebackene Papa noch eine Rede gehalten hat über das Thema

 

                                                        „ein Mann, ein Wort“

 

habe ich gute Miene zum bösen Spiel gemacht.


Das Jahr darauf ist ein kleines Mädchen angekommen und zwar hat sie, mir zu Ehren, den Namen Henriette gekriegt, und den zweiten Buben, den haben wir, auch mir zu Ehren, ‚Heini‘ getauft. Wie der dritte Bube angemeldet worden ist, da war es mir ein bisschen blümerant zu Mute – Heinrich – Henriette – Heini – und ich war wirklich gespannt, wie sie meinen schönen Namen jetzt noch verwursteln würden.

 

Mein Schwiegersohn war aber nicht im Mindesten verlegen.“ „Vater“, sagt er, „weißt du was, jetzt teilen wir deinen Namen, den ‚Hein‘ streichen wir, dann steht der ‚Erich‘ da!“. „Meinetwegen“ habe ich gesagt, „es geht nichts über einen findigen Kopf!“

 

Bei der Taufe, wie ich zum vierten Mal zweihundert Mark auf dem Altar der Patenschaft und Nächstenliebe niedergelegt habe, sagt mein Schwiegersohn so heimlich zu mir: „Ja, ja Vater, den ‚Heinrich‘ haben wir jetzt so ziemlich ausgenützt, es ist mir wahrhaftig ein großer Trost, dass du auch noch den Vornamen ‚Wilhelm‘ hast!

 

Gucke, den kann man so schön modulieren: Wilhelm, Wilhelmine, Willi, Minche, Willibald …“ „Jetzt sei aber so gut und höre auf“, habe ich protestiert, „an vier Patenkindern habe ich gerade genug. Ich danke für die Modulationsfähigkeit“.

 

Meine Frau hat mir auch tüchtig zugesetzt, „das hast du jetzt davon, du Allerweltsbabbler, du“, lacht sie mich aus; „wärst du still gewesen, was brauchst du Reden zu halten“.

 

Aber die Kinderchen sind aufgewachsen, sage ich euch, es ist der helle Staat, und ich habe an meinen Enkelchen und Patenkindern den größten Spaß. Zwei Jahre war jetzt Waffenstillstand, da platzt mir eine Depesche ins Haus: „‘Wilhelminchen‘ lässt grüßen“. Ich bin zwar von dieser Grüßerei nicht arg erbaut gewesen, aber – ein Mann, ein Wort – ich habe auch da wieder die Patenschaft übernommen.

 

Der Herr Pfarrer hat mich schon ganz familiär begrüßt und es hätte meiner Seele gar nicht viel gefehlt, da hätte mich ein gewisse gütige Frau fest an ihr mütterliches Herz gedrückt.

 

„Der Einweihung vom zweiten Namen zur Ehre“, wie mein Schwiegersohn in seiner Rede bemerkt hat, ist die Taufe ganz besonders feierlich und großartig gehalten geworden, nur mir war es nicht recht wohl dabei.

 

Und richtig, das nächste Jahr, haben sie mir den ‚Wilhelm‘ avisiert. Ich habe mich drücken wollen – prosit Mahlzeit – sie haben mit der Taufe so lange gewartet, bis ich von meiner Reise zurück war, ob jetzt mir selbst oder dem Sparkassenbüchlein zu lieb, darüber bin ich mir bis heute noch nicht recht klar.

 

Ich habe mich so nach und nach mit meinen sechs Patenkindern abgefunden, meine Frau hat mir zwar vorgerechnet, dass ich die Konfirmationsuhren doch lieber gleich im halben Dutzend kaufen sollte, da bekäme ich gewiss extra Rabatt, aber ich habe mir aus all ihren Sticheleien nichts daraus gemacht, und habe auch gedacht, mein Schwiegersohn hätte Mitleid mit meinen grauen Haaren.

 

Wie wir jetzt heute Morgen am Kaffeetisch sitzen, kommt der Postbote. „Da, Karlinchen“, sage ich zu meiner Frau, „ein Brief vom Fritz, Gott sei es getrommelt und gepfiffen, dass es keine Depesche ist.“

 

„So ist recht, so ist recht“, lacht meine Alte spitzbübig, „da gucke her, der hat nicht mehr das Herz, zu depeschieren, darum schreibt er! Jetzt höre nur zu“: „‘Willi‘ soeben angekommen, ein allerliebster kleiner Bursche, lässt den Großpapa und die Großmama zum 20. dieses Monats zur Taufe einladen. Übrigens dem Großpapa wie aus dem Gesicht geschnitten.“

 

Da ist mir aber meine so oft erprobte Geduld gründlich gerissen. Ich setze mich hin und schreibe dem Fritz, ob er denn denkt, ich hätte nichts zu tun, als auf Kindtaufen zu fahren, und er könnte mir ein für alle Mal gestohlen werden!

 

Er soll sich für seinen Willi zum Paten nehmen, wen er wollte – ein Mann, ein Wort – auf mich bräuchte er nicht mehr zu rechnen! Je mehr meine Frau geuzt und gelacht hat, desto grober ist mein Brief geworden, und dass ich meiner Sache ganz sicher bin, habe ich ihn sogar in meinem heiligen Zorn noch einschreiben lassen!

 

Sehen Sie, so ist es, und seit der Brief fort ist, habe ich keine Ruhe mehr, ich bin mit mir selbst unzufrieden, kein Wunder, wenn ich ein Gesicht mache wie drei Tage Regenwetter! Es liegt mir gerade wie Blei in meinen Gliedern. Jetzt soll da ein anderer Pate genommen werden für das kleine Willichen, wo mir noch dazu so ähnlich sieht, nein, das bringe ich nicht über das Herz, das könnte ich nicht verschmerzen.

 

Gleich gehe ich heim, schreibe noch einen Eilbrief und bringe die Sache wieder ins Gleis, und morgen Abend, da brauen wir ein extra Bölchen zum Wohl für mein siebtes Patenkind! Also – ein Mann, ein Wort – es bleibt dabei.

 

Lina Sommer

 

Originalschreibweise:

folgt.