Die Madame Redlich

aus: Hausapothek

in Mundart zu lesen, Originalschreibweise siehe unten

 

(Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen

wird, ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch)

 

Eine arme Wittfrau war die Madam Redlich. Ihr Mann ist gestorben und hat sie allein gelassen, ohne einen Pfennig Vermögen, mit einem Sack voll Sorgen und vier kleinen Kindern. Zum Glück hat sie ein Filial erwischt, zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben, und da hat sie sich so durchgehungert und ihre Armut versteckt, für dass es ja niemand merkt, wie übel sie dran ist. Und weil sie so eine brave, stille Frau gewesen ist, hat sie auch von der ganzen Familie die alten Sachen geschenkt gekriegt, für dass sie immer noch ein bisschen „standesgemäß“ daherkommen sollte.

 

Da darüber ist die gute Seele arg froh und dankbar gewesen, namentlich was die Kleider anbelangt hat. Mit den Hüten ist sie aber immer auf dem Kriegsfuß gestanden, denn die haben halt, und wenn sie sie inwendig noch so dick mit Fließpapier ausgestopft hat, nicht sitzen und nicht halten wollen, und sind trotz Hutnadeln und Gummibändel immer hin- und her gewackelt. Kein Wunder, die ganze Verwandtschaft hat nämlich so runde, wohlgenährte Köpfe gehabt, und sie so ein armes, mageres Spatzengesichtlein.

 

So oft die Madame Redlich mit ihren Kindern oder Bekannten sonntags spazieren gegangen ist, hat sie Ängste gehabt, ob denn ihr Hut auch ordentlich und recht sitzen täte (lieber Himmel, sie hat sich auch gerne ein bisschen geputzt), und sie hat alle Augenblick gefragt: „du Liebe, gucke einmal, sitzt denn mein Hut nicht schief“, oder: „ach, ihr Kinder, mein Hut wird doch nicht schief sitzen.“

 

Die gute, brave Frau ist krank geworden, und weil sie keine Kraft zuzusetzen gehabt hat, ist sie arg zusammengefallen, und ihre Leute haben bald gemerkt, dass sie nicht mehr aufkommt. Für ihr noch einen kleinen Liebesdienst zu erweisen, haben sie den Herrn Pfarrer rufen lassen, dass er mit ihr beten und sie auf den Himmel vorbereiten sollte.

 

Sie war nicht mehr recht bei sich, hat aber durch Zureden und Aufrütteln schließlich so viel gemerkt, dass der Herr Pfarrer da ist. Da macht sie noch einmal ihre armen, müden Augen auf, und mit ihrer letzten Kraft sagt sie: „Herr Pfarrer, ach Gott, Herr Pfarrer, sitzt denn mein Hut nicht schief?“

 

Lina Sommer

 

Originalschreibweise folgt