Die pfälzer Ecke im Himmel

aus: "Hausapothek"

in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten



(Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen wird, ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch)

 

 

Ehe ich anfange, das Geschichtchen zu erzählen, sage ich noch einmal, wie schon oben angedeutet, es ist ein Traum, und für Träume ist man bekanntlich nicht verantwortlich.


Also – um es kurz zu machen – ich habe geträumt, ich wäre gestorben, und wäre (wie das bei einem Menschenkind von meinem Schlag ganz selbstverständlich ist), direkt hinauf geflogen in den Himmel. Wie ich dann so gegen Abend ganz leise und bescheiden an dieser großen, eichenen Himmelstür anklopfe, da ruft es von drinnen heraus „Himmel – Erde – Stern – Laterne – hat man denn Tag und Nacht keine Ruhe, wer ist denn jetzt schon wieder draußen ?“


Ich erschrecke natürlich nicht wenig bei meinen schwachen Nerven und bringe vor lauter Ängsten nichts heraus als: „Ach, entschuldigen Sie doch – ich bin es.“ „Ja gut, so könnte jedes kommen“, kriege ich zur Antwort und gleichzeitig wird ein Schiebfensterchen aufgemacht und dem Petrus sein gewaltiger Kopf guckt heraus. „So, du bist es“, lacht er vor sich hin, „das hättest du gleich sagen können; für was die Heimlichkeiten, die musst du abstreifen.“

 

Ich höre einen Schlüsselbund klappern, die Tür wird einen Spalt aufgemacht, ich schlüpfe hinein, und stehe in einer großen schönen Vorhalle, so eine Art Empfangszimmer, wie ich mir es drunten auf der buckligen Welt für mich selbst oft gewünscht habe. Die Wände waren von oben bis unten mit schokolade-braunem Holz getäfelt, ein paar bequeme Sessel mit geblümelten Kattunüberzügen sind herumgestanden – in der Mitte war ein allmächtig großes Stehpult mit einem porzellanenen Tinten- und Sandfass (auf wenigstens 150,00 Mark habe ich es taxiert) und an den Wänden entlang waren mordsdicke handfeste Regale angebracht und da darauf sind in Schweinsleder gebunden und mit silbernen Schlössern beschlagen allmächtig große, schwere Bücher gestanden, – „aha – ein illustriertes Konversationslexikon“, habe ich mir gedacht.


Der Petrus weist auf einen Sessel und sagt: „Sodele, jetzt wollen wir einmal zuerst deine Personalien feststellen.“ Wie das erledigt war, langt er an so ein Regal und holt bedächtig eines von denen großen Büchern herunter, mit „S“ war es bezeichnet. Da blättert er eine Weile darin herum, und weil es gar so lange gedauert hat, sage ich: „Herr Petrus, erlauben Sie, vielleicht stehe ich noch mit meinem Mädchennamen unter M, Müller habe ich nämlich geheißen.“

 

„Ruhig“, sagt der Petrus, „behalte deine Weisheit für dich, meine Bücher sind in Ordnung und das Heiratsregister wird auch nicht vernachlässigt.“ Da damit deutet er auch schon mit dem Zeigefinger auf einen Namen, ich stelle mich auf, groß genug bin ich ja und spitze ihm so ein bisschen über die Achsel – und richtig, da stehe ich: Sommer, Lina, geb. Müller aus Speyer, und im Betragen und in den Leistungen habe ich blanke Einser gehabt und auch sonst lauter gute Noten.

 

„So“, sagt der Petrus und gibt mir eine Patschhand, „brauchst kein Examen mehr zu machen; du hast dich tapfer gewehrt und hast mit Ehren bestanden, wir nehmen dich anstandslos auf. Kannst „Du“ zu mir sagen, da oben im Himmel wird nichts gesiezt, und jetzt komme mit, Liebe, dass ich dich zu deinen Landsleuten führe.“

 

Da damit schlägt er an der Seite eine große Samtportiere auseinander und gibt mir so einen kleinen Stumper, dass ich ein paar Schritte vorwärtskomme, – ich war nämlich, wie ihr euch denken könnt, ganz geblendet und verstabert (verblüfft) von all dem hellen, silbrigen und goldigen Glanz und Schimmer. Wie sich meine Augen ein bisschen daran gewöhnt haben, da sehe ich einen langen, langen, hohen Saal (es war gar kein Ende abzusehen), die Wände waren von lauter venezianischem Spiegelglas, – die Decke war himmelblau mit lauter silbernen Sternchen, – ein Duft war wie von lauter Maiglöckchen und Veilchen und Heliotrop, – und eine Musik und eine Melodie ist über all dem gelegen, noch viel feierlicher und schöner als wie in der Allerheiligen-Hofkirche in München.


In der Mitte war ein breiter, freier Gang und rechts und links in den Reihen sind lauter goldene Stühle und Sessel und Schemelchen gestanden und auf jedem ist ein Engelchen gesessen, – dicke und dünne, alte und junge, kleine und große, leichte und schwere. Die haben mir alle so lieb zugenickt und haben so zufriedene, verklärte Gesichter gehabt, und so schneeweiße Kleidchen mit goldenen Flügeln daran, dass ich mich habe gar nicht satt sehen können. Die hellen Tränen sind mir aus den Augen gelaufen.


Der Petrus ist marschiert wie ein Infanterist, ich als hinten nach, aber schließlich ist mir der Atem ausgegangen. „Petrus“, habe ich gesagt, „oh gehe, jetzt lasse mich doch ein bisschen ausruhen, – gucke selbst, ich kann ja mit dem besten Willen nicht mehr. Ich habe mich drunten auf der Welt so viel tummeln und plagen und abrackern müssen, jetzt lasse mir halt ein bisschen Zeit, dass ich mich verschnaufen kann. Ist es denn noch weit, bis wir zu meinen Pfälzern kommen – und warum hocken wir denn eigentlich so hinten draußen ?

 

Der Petrus gibt mir ein Schemelchen, lacht so verstohlen, und fängt an zu erzählen: „jetzt passe auf, das war eine schöne Komödie: weißt du, selbigenmals, wie der erste Pfälzer – der Georg aus Dürkheim – in den Himmel gekommen ist, da war alles gut und schön, er hat pariert, schon der helle Staat, – und da haben wir ihn halt zwischen hinein unter die anderen Engel gesetzt und er war mucks-mäuschen-still.


Ein paar Tage später kommt der zweite Pfälzer – der Jean  aus Pirmasens in den Himmel. Wie jetzt der Georg den Jean kommen sieht, fängt er an, zu pfeifen, zu winken, zu kreischen: alla, Jean – hopp – da komme her, setze dich neben mich, da ist gerade noch ein Plätzchen für dich frei.


Kaum waren sie eine viertel Stunde beieinander, da haben sie dermaßen disputiert und renommiert und krakehlt und so ein Mordsspektakel gemacht, dass man sich hat die Ohren zuhalten müssen, – und wie dann noch mehr Pfälzer dazu gekommen sind, da hat man sein eigenes Wort nicht mehr gehört vor lauter Getruwel und Händel und Gekrisch. „Petrus, was meinst du“, hat da der liebe Herrgott gesagt, „was fangen wir denn mit dieser Gesellschaft an – da ist guter Rat teuer.

 

Hinaus schmeißen wollen wir sie nicht – warum – es sind Pfälzer und für die Burschen habe ich von jeher eine ganz besondere Vorliebe, mitsamt ihrem Ländchen. Nimm halt die ganze Bagage einmal zusammen und gebe ihnen ein extra Plätzchen so hinten draußen, da stören sie niemanden und können ihre Possen und ihren Uz weiter treiben.“ So haben sie ihr Plätzchen gekriegt. „Pfälzer Eck“ habe ich es getauft und seit sie so isoliert hocken, haben wir im übrigen Himmel unsere Ruhe und unseren Frieden.

 

Natürlich war ich jetzt arg neugierig, das pfälzer Eck im Himmel kennen zu lernen und bin flott weiter marschiert. Auf einmal höre ich von Ferne kreischen: „Halt, Philipp – da wird nicht gemogelt – warte nur, Alterle, wenn ich dich erwische, dann geht dir es schlecht“. Und wie wir noch ein Stückchen weiter gehen, da sehe ich so einen handfesten Tisch mit lauter Schoppengläsern und leeren Flaschen.


Der Tabakrauch steigt mir in die Nase und da finde ich sie, meine Landsleute, in einer langen, langen Reihe beisammen sitzen, der Georg, der Heiner, der Karl, der Matthes, der Jean und zwischen drin die Gustel, die Fränzel, das Treidchen, das Binchen, das Lottchen, das Lenchen und noch viele, viele andere, die wo ich noch gar nicht gekannt habe.

 

„Petrus“, fangt der Karl an, – „da gucke her – es ist alles leer bis auf den letzten Tropfen, – was lässt du uns denn so trocken da sitzen ? Meinst du vielleicht, ich hätte da dafür so rechtschaffen gelebt und gestrebt drunten auf der Welt, dass ich jetzt da oben Hunger und Durst leiden soll ?


Awa, da darauf war es nicht gespitzt, schicke einmal ein paar Flaschen Speyerer Bier, Storchen- oder Sonnen-Bräu und eine Platte voll Knackwürste und ein paar Handkäse, so recht schöne weiche, durchene, und vergiss auch die Fastenbrezeln nicht. Und meine Frau, die Binchen, die möchte gerne ein Tässchen Kaffee, aber koffeinfreien, dass sie sich nicht so echauffiert, und ein Stückchen Zwetschgen- oder Zimtkuchen oder Zwiebelkuchen, was du halt gerade hast.


Morgen, denke daran, ist Sonntag, da stellst du uns ein paar Flaschen Forster Kirchenstück parat und sorgst für ein Gänslein mit Kastanien für mittags, – und für Leberknödel mit Kopfsalat zum Nachtessen.“


Wie ich mich jetzt durch Husten so ein bisschen bemerkbar mache und hinter dieser Marmorsäule, an die wo ich mich angelehnt habe, herauskomme, da steht auf der anderen Seite vom Tisch einer auf, deutet auf mich her, dass ich ganz rot geworden bin, und kreischt: „Jesses, ihr Leute, da guckt hin – jetzt kommt die auch noch – hat die vielleicht den Himmel verdient ?“

 

„Halte deinen Schnabel, Heiner, die hat ihn zehn Mal mehr verdient wie du“, sagt da eine wohlbekannte Stimme, und wie ich mich herumgucke, wer mir denn so schön die Stange hält, da steht leibhaftig der Willi vor mir, mit dem wo ich selbigenmals, wie ich noch ein junges, schönes, reiches Mädchen war, bei der Guttental´n in Mannheim in die Tanzstunde gegangen bin.


„Linchen, Linchen, liebe Linchen“, sagt er, und die hellen Tränen sind ihm in den Augen gestanden – er war nämlich von jeher ein bisschen sentimental veranlagt – „was meinst du, wie habe ich mich auf dich gefreut, und wie habe ich gepasst und gepasst, Tag für Tag, dass du endlich kommst; bald wäre mir die Geduld ausgegangen. Warte, ich schiebe dir ein Fauteuilchen her, da setzt du dich neben mich, – was werden wir uns alles zu erzählen haben, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, gelt, Linchen.“

 

Ich habe mich so recht gemütlich in den schönen, goldenen Sessel hineingekuschelt, – es war mir so wohl, – so wohl, – und wie wir so in der besten Unterhaltung drin waren, und unsere ganze selige, fröhliche Jugendzeit haben aufleben lassen, da fängt es an zu rattern und zu knattern, und zu spektakeln und zu rumoren, – es war meine alte, nichtsnutzige Wecker-Uhr, die mich aus der idealen pfälzer Ecke im Himmel herausgetrieben hat in die nüchternste Prosa von meinem nüchternen täglichen Leben.

 

Wie gesagt, es war ein Traum, und für Träume ist man nicht verantwortlich – gelt nicht ?


Originalschreibweise

folgt