Die Pfälzer Ecke im Himmel

aus: Schtillvergniegt

in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten

 

(Dieser Text ist in pfälzer Mundart zu lesen, wenn er hochdeutsch gelesen wird,

ergibt sich an vielen Stellen ein schlechtes oder sogar falsches Deutsch.)

 

 

Meine lieben Landsleute, ich lache mich jetzt noch halb schief und krumm über das, was
ich neulich nachts geträumt habe, und weil es euch alle miteinander angeht, will ich euch
das Stückchen erzählen.

 

Also, ich habe geträumt, ich wäre gestorben, und wäre (wie das bei einem Menschenkind
von meinem Schlag ganz selbstver­ständlich ist), direkt hinauf an den Himmel geflogen. Wie
ich dann so gegen Abend ganz leise und bescheiden an der Him­melstür anklop­fe, da ruft es von drinnen heraus „Sapperlott noch einmal – hat man denn Tag und Nacht keine Ruhe, wer
ist denn jetzt schon wieder draußen ?“

 

Ich erschrecke mich nicht wenig und bringe nichts heraus als: „Ach, entschuldigen Sie doch – ich bin es.“ „So könnte jeder kommen“, kriege ich zur Antwort; und wie ich dann pispere:
„Ach, lieber Herr Petrus, eine arme alte Pfälzerin ist draußen und möchte gerne hin­ein“,
da werden mit einmal die großen Flügeltüren aufgerissen, und ich stehe mitten im Himmel.

 

Zuerst war ich ganz geblendet und verstabert von all diesem hellen, goldigen Glanz und Schimmer, aber wie sich dann meine Au­gen ein bisschen daran gewöhnt haben, da sehe
ich einen all­mächtig langen, großen, hellen Saal (so endlos und lang wie das Weltende in Schwetzingen) und da stehen lauter goldene Stühlchen und Sche­melchen, und auf jedem hockt ein Engel mit so einem zufriedene, verklärte Gesicht, dass mir es ganz blümerant

zu Mut geworden ist.

 

Ich stehe da und kann mich nicht satt gucken an allen diesen lieben Gesichtern – und den weißen Kleidern – und den goldenen Flügeln, – auf einmal kommt der Petrus wieder her zu
mir, mit einem mords­großen Buch unter dem Arm. Er schlägt es auf, er sucht (gerade wie

ich als in der Töchterschule meinen Diktionär nachgeschlagen habe), bis er das große S gefunden hat; ich spitze ihm so ein bisschen über die Achsel hinüber, – richtig, da stehe ich, – im Betragen habe ich gut, mit so einer kleinen Randbemerkung, und wie ich mir diese ein bisschen näher angucken will, legt der Petrus seine Dotschen darauf. „So“, sagt er, „wenn
du auch nicht so ganz propperchen bist, so hast du doch mit Ehren bestanden – jetzt komme mit, dass ich dich zu deinen Landsleuten führe.“

 

Da damit geht er voraus, ich als hinten nach. Der Petrus, der ist mar­schiert wie ein Infanterist, ich, in meiner zarten Konstitution habe ihm nicht recht folgen können, und wie ich dann so ein leeres Stühlchen sehe, sage ich: „Ach, Petrus gucke, mir geht der Atem aus; ich habe mich drunten auf der buckligen Welt so viel tummeln und plagen müssen, jetzt lasse mich doch
ein bisschen ausruhen. Ist es denn noch weit, bis wir zu den Pfäl­zern kommen, und warum hocken wir denn so hinten draußen ?“

 

„Ja“, sagt der Petrus und lacht so verstohlen: „Das will ich dir erzäh­len. Guck, selbigen Mals, wie der erste Pfälzer, der Jean, in den Him­mel gekommen ist, da war alles gut und schön, wir haben wir ihn zwi­schen hinein gesetzt zu den anderen Engeln, er war mucks-mäus­chen-still, und wir waren ganz zufrieden mit ihm. Ein paar Tage dar­auf kommt der zweite Pfälzer, der Schorsch, in den Himmel; wie jetzt der Jean den Schorsch kommen sieht, steht er auf, fängt an, zu win­ken und zu pfeifen und zu kreischen:

 

„Holla, Schorsch, setze dich ne­ben mich, da ist noch ein Plätzchen frei.“ Kaum waren sie aber eine halbe Stunde beisammen, da haben sie schon so ein Mordss­pektakel vollführt, dass man sich hat die Ohren zuhalten müssen, – und wie dann noch mehr Pfälzer dazu gekommen sind, da hat man über­haupt sein eigenes Wort nicht mehr gehört, vor lauter Ge­krisch und Händel und Getrubel. Da hat unser lieber Herrgott gesagt:

 

„Pe­trus, was wollen wir machen, es sind halt Pfälzer. Hinaus schmeißen wol­len wir sie gerade nicht. Packe die ganze Bagage einmal zusam­men und gebe ihnen extra ein Plätzchen, ganz da hinten draußen, da stö­ren sie niemanden und können ihre Possen weiter treiben.“ So haben sie ihr Plätzchen gekriegt, deine Lands-leute, „Pfälzer Ecke“ habe ich es getauft und seitdem sie so isoliert hocken, haben wir we­nigstens im übrigen Himmel unsere Ruhe und un­seren Frieden.“

 

Jetzt war ich aber doch arg neugierig, das pfälzer Eck im Him­mel kennen zu lernen, und bin flott weiter marschiert; auf einmal höre ich kreischen: „Halt, Philipp – da wird nicht gemogelt – warte nur, wenn ich dich erwische“. Und wie wir noch so ein paar Schritte weiter ge­hen, da steht so einen handfester Tisch mit lauter Schoppengläsern.

 

Der Tabakrauch steigt mir in die Nase und da sitzen sie in einer lan­gen, langen Reihe, der Schorsch und der Jean, der Philipp und der Karl, der Lui und der Heiner, und zwischen drin
das Malchen, das Lenchen, das Riekchen, das Bin­chen, das Lottchen und noch viele, viele
an­dere, die wo ich nicht gekannt habe.

 

„Petrus“, fangt der Philipp an, „was lässt du uns denn so tro­cken da sitzen, gucke her, es ist alles leer, jetzt schicke einmal gleich ein paar Flaschen Dürkheimer, aber vom Besten.“ Wie
ich mich dann so ein bisschen bemerkbar ma­che, schlägt der Karl die Hände über dem Kopf zusammen und fängt an zu kreischen: „Jesses, nein – jetzt kommt die auch noch – hat die vielleicht den Himmel verdient ?“

 

„Halte deinen Schnabel, die hat ihn zehn Mal eher ver­dient wie du“, sagt der Lui (der war nämlich früher mein Verehrer, wie ich noch bei der Guttental´n in Mannheim in die Tanzstunde gegan­gen bin), und macht mir ein bisschen Platz neben sich.

 

Nach und nach haben sich dann die Gemüter beruhigt, ich war gera­de im Begriff, mich so schön mit meinem Lui aus der Tanz­stundenzeit zu unterhalten – auf einmal fängt es an zu bimmeln und zu bimmeln – es war meine alte, nichts-nutzige Wecker-Uhr (ich habe sie in
die­sem Augenblick zehn Klafter unter den Erd­boden verwunschen), die mich von der idealen lustigen „pfälzer Ecke im Himmel“ wieder her­ausgetrieben hat in die Prosa von meinem täglichen Leben.

 

Lina Sommer

 

 

Originalschreibweise:

folgt