Eine nette Gesellschaft

aus: Hausapothek (1933)

in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten

 

Zum Papa seinem Namenstag hat die Mama ein paar gute Freunde und Kollegen von ihm, den Onkel und die Tante, den Herrn Vetter und die Frau Base und noch drei Nachbarsleute zu einer kleinen Bowle eingeladen.

 

Natürlich ist die Rede auch auf das Essen und Trinken gekommen, und der Onkel hat sich lang und breit darüber ausgelassen, dass er für seine Person es nicht begreifen täte, wie die Menschen oft mehr trinken könnten als sie gerade Durst hätten, – dass jedes Tierlein in dieser Beziehung vernünftiger wäre, – und dass man ganz gut durch das Leben kommen könnte, ohne je ein Räuschlein oder gar einen Rausch zu haben. Er selbst wäre da dafür ein leuchtendes Beispiel.

 

Die Tante hat zwar so still und eigentümlich vor sich hin gelacht, als ob sie sagen wollte: „Nein, da hört sich doch alles auf, Alter(le)“, aber es hat weiter niemand Notiz genommen von diesem Mienenspiel.

 

„Im großen Ganzen hast du ja Recht, Onkelchen“, hat der Papa beigestimmt, „aber gucke, manchmal kommt man doch dazu, und weiß wahrhaftig nicht, wie. Ich, zum Exempel, bin doch der solideste und nüchternste Mensch und Bürger von der Welt, aber zwei Mal in meinem Leben ist mir es halt doch passiert, dass ich ein bisschen zu tief in das Glas geguckt habe: das erste Mal bei der Einweihung von den neuen Kirchenglocken, und das zweite Mal, wie wir unseren Verein, die ‚Harmonie‘ gegründet haben.“

 

„Liebes Männlein, da irrst du dich, das stimmt nicht“, hat die Mama korrigiert. „Selbigen Mals, wie unser Konrädel getauft worden ist, da hast du dein erstes, und später, bei meiner Schwester, der Binchen, ihrer Hochzeit, da hast du dein zweites Räuschlein gehabt.“ „Du kannst Recht haben, Liebe, gucke, man vergisst als einmal etwas“, hat der Papa gemeint.

 

„Ja, Schorsch, es kommt mir wahrhaftig so vor, als ob dein Gedächtnis dich manchmal im Stich lassen täte“, hat der Vetter gelacht. „Also ich will dir ein bisschen aufhelfen. – Es war ja vor vier Jahren bei meinem Jubiläum und nachher bei der Ausstellung, dass du, was man so sagt, ‚benebelt‘ warst, und zwar ganz gehörig. Auf unserem Kanapee hast du ja dein Räuschlein ausgeschlafen; gedenkt dir es nicht mehr?“

 

„Jetzt müssen die Herrschaften aber entschuldigen, dass ich widerspreche und diesen Irrtum aufkläre“ hat einer am Tisch unten gerufen. „Es ist eine Verwechslung, Herr Kollege: Erinnern Sie sich doch, bei der Gehaltsaufbesserung, und das letzte Jahr beim Preiskegeln in der ‚Goldenen Gans‘ – da haben Sie die Wegsteuer nicht mehr gehabt.“

 

„Oh Papa, Papa, lass dir doch keinen Bären aufbinden, das ist ja alles Blech“, ist der älteste Filius hinausgeplatzt. „Auf unserer Ferienwanderung durch den Pfälzer Wald, weißt du noch, an diesem schönen Mittag in Neustadt, und an diesem lustigen Abend in Dürkheim, – da war es, dass du die Wegsteuer und die Balance nicht mehr gehabt hast, und mit Mühe und Not habe ich dich in unser Logis geführt und in das Bett gelegt.“

 

Wie jetzt noch Einer von den Nachbarsleuten den Mund gespitzt hat und hat anfangen wollen zu erzählen und auszukramen, da hat die Mama flink die Bowle auf den Tisch gestellt – hat ausgeschöpft, und dann haben sie alle miteinander angefangen zu singen, und es war so pfälzisch-urgemütlich, und sie haben die Abstinenzler im Allgemeinen, und den Papa im Speziellen so lange hochleben lassen, bis er schließlich - sein drittes Räuschlein gehabt hat.

 

Lina Sommer

 

Originalschreibweise:

 

folgt