Was man alles erlebt

aus: Schtillvergniegt

(in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten)

 

 

An einem schönen Tag lese ich in der Zeitung eine Annonce: „Wer ver­fasst humoristische Gedichte mit feiner Pointe“, und da denke ich so bei mir: „Du kannst dich ja einmal melden, vielleicht kannst du dir ein paar Duppes-Groschen verdienen, dass du in diesem Leben auch einmal zu einem Reformkleid kommst. Hilft es nichts, so scha­det es nichts, es kos­tet dich höchstens fünf Pfennig Porto, und die kannst du noch riskieren.“

 

Ich setze mich also hin und schreibe eine liebenswürdige Epistel von „gerne zu Ihren Diensten“, „Honorar-Ansprüche bescheiden“ usw., aber es hat sich kein Mensch und keine Seele gerührt, und ich habe die ganze Geschichte vergessen. Doch „mit des Geschickes Mäch­ten ist kein ewi­ger Bund zu flechten“, wie ich an einem Vormittag so gegen elf meiner Donna ad oculos demonstriere, wie man regelrecht einen Ofen ausputzt, schellt es an der Korridor-Tür. Ich denke, es wären die Kinder, und laufe – in der einen Hand den Schürhaken,
in der anderen die Kohlenschaufel – hin, und drücke mit dem Ellbogen die Schlinke auf.

 

Oh Jesses, da bin ich doch feuerrot geworden, denn vor mir steht – in gelben Lack-Stiefe-letten, einem mäuschen-grauen Überzieher, dto. Glacé, ein Monokelchen im Auge, und einem hohen Zylinderhut auf dem gewellten Haar – ein junger Herr, schlägt die Absätze aneinan­der, und frägt so recht kordial: „Könnte ich vielleicht das Vergnügen haben, Frau S. zu sprechen?“

 

„Ei, diese Pläsier haben Sie ja schon“, platze ich heraus, „aber ent­schuldigen Sie nur, ich
sehe ja aus, wie der leibhaftige Satan.“ Da damit kom­plimentiere ich meinen Besuch in die gute Stube, renne hinüber in das Schlafzimmer, fahre mir mit der Brennschere durch die Haare, fummele mich mit parfümierter Seife, ziehe einen großen, weißen Ärmelschurz über mein Neg- und Dreckligé an, und zerbre­che mir als meinen Kopf, wer „jener Herr“ denn sein könnte.

 

Wie ich dann so voller Grazie und Erwartung zur Türe herein schwebe, stellt sich der Adonis vor: „Gnädige Frau, mein Name Hans Im­mergrün, Comiker am Varieté, werte Zuschrift erhalten, möchte mit Ihnen spre­chen.“

 

Ich schlage die Hände über dem Kopf zusammen, lasse mich in mei­nen matt-lila Seiden-Plüsch-Sessel fallen, und fange an zu lachen, zu lachen, wie mein Lebtag noch nicht. Ich,
eine zart-besaitete, penible, solide Bür­gersfrau, und das Varieté.

 

Der Schwerenöter lässt sich aber nicht aus der Contenance bringen, er lacht seelenvergnügt mit, und schließlich bettelt er, „ich möchte ihm doch etwas zu lesen geben von dem, was ich

schon geschrieben hätte.“

 

Das ist jetzt der Punkt, worin ich auch eine Evas-Tochter und sterb­lich bin, ich hole also mein Autoren-Krempelchen zusammen, er liest ver­schiedenes davon, und sagt dann mit so einem gewissen „avec“ von oben herunter: „Alles sehr nett, aber nichts für mich, brauche ganz
ande­re Sachen.“

 

Dann stellt er sich mitten in der Stube in Positur, fängt an zu singen, zu deklamieren, zu gestikulieren und zu agieren, dass mir es ganz angst und bang geworden ist; „ach Gott“, denke ich bei mir, „der wird doch nicht übergeschnappt sein.“

 

Mit einer nicht misszuverstehenden Handbewegung mache ich die Türe auf, er überreicht
mir, voll Grandezza, seine goldgeränderte Vi­sitenkarte, und sagt:

 

„Wenn Sie einmal etwas schreiben würden, was in mein Repertoire passt, dann bitte um Zusendung, ich honoriere sehr gut.“ „Selbiges kann ich mir denken“, sage ich, und kompli-mentiere meinen Komiker glücklich auf den Korridor, wo er mir so kordial und kollegial die

Hand drückt, und mir eine Verbeugung macht, mit so viel Grazie und Ele­ganz, dass er mich ganz gerührt hat. Kaum waren seine gelben Lack-Stiefeletten-Absätze hinter der Türe verschwunden, schließe ich zwei Mal herum und hänge die Si­cherheitskette vor.

 

Wie ich meinem Mann dann das Recontre erzählt habe, hat er ge­sagt: „Gucke, das kommt davon, wenn man Duppes-Groschen ma­chen will“, und wenn als mein Haushaltungsgeld nicht gereicht hat, und ich habe Vorschuss haben wollen, hat er gelacht: „Nichts da, Ma­dame, schreibe du für das Varieté.“

 

Lina Sommer

 

Originalschreibweise:

folgt