Diese Biographie erschien im Jahr 1921. Falls durch mein Veröffentlichen irgendwelche Rechte verletzt werden, bitte ich um Mitteilung, ich werde diesen Teil dann löschen.

Lina Sommer - Aus ihrem Leben und Schaffen

von Elisabeth W. Trippmacher - 1921

1. Ihre Persönlichkeit - - - - 2. Ihr Leben - - - - 3. Ihr Schaffen

 

1. Ihre Persönlichkeit

 

Einer hoheitsvollen Frau

trat ich jüngst entgegen,

sah sie früher nie, doch gleich

ward sie mir zum Segen,

 

so lautet der Anfang eines Gedichtes, das der bekannte Lyriker, der verstor­bene Waldpfarrer Karl Ernst Knodt in Bensheim unter dem Titel „Unsichtbare Perlen“ in einem seiner Bücher unserer Frau Lina Sommer widmete. Und zum Segen ward sie nicht nur ihm, „die Sommerfrau“, wie er sie nannte, son­dern Tausenden, uns allen, die wir das Glück haben, uns zu laben an der kla­ren Quelle ihres sonnigen, weisheitsgeklärten Humors. Wie oft begegnen wir ihm in allerlei Tagesblättern, in Zeitschriften, den „Fliegenden Blättern“, in ih­ren Büchern, die uns Lebensbücher, Freunde in dunklen Stunden sind. Beim Versenken in ihre Schöpfungen fühlen wir immer ihre liebe, wohltuende Nähe. Und immer gibt sie uns etwas, ob sie nun in ihrem köstlichen heimatli­chen Dialekt, den sie in Reim und Prosa meisterhaft beherrscht, oder in hochdeut­scher Lyrik zu uns spricht. Leider sind ihre Schöpfungen dieser Art noch viel zu wenig bekannt. Der tiefinnere Grundzug ihres Wesens ist Lauterkeit, Her­zensgüte, – warme, sonnige Herzensgüte und ungekünstelte Schlichtheit – ihr Leben ein leuchtendes Licht, das siegreich alles Dunkel, alle Schatten – und deren gab es wahrlich mehr als genug auf ihrem Weg – überwindet und immer wieder durch die Wolken bricht. „Kraftwecker“ nannte ein Verehrer ihre Schöpfungen, die herausgewachsen sind aus der Tiefe eines reinen, edlen Frauenherzens, gold´ner Weisheit, seltener, alles verstehender Güte voll. Licht, klar, vornehm, unaufdringlich, sonnig und schlicht wie ihre ganze Persönlichkeit ist alles, was sie schaut, denkt, schafft und in Worte bringt. Sie ist immer „sie selbst“ und lehrt uns wieder das befreiende, herzliche, gesunde Lachen.

 

Echter Humor entspringt stets einem leiderfüllten Herzen, und sie besitzt ihn, den echten, wahren, ich möchte, um ihre Eigenart auszudrücken, sagen: den Lina-Sommer-Humor, der nie verletzt, der Freud und Leid, das durch das große Herz der Menschheit pulst, mitfühlt, der allem eine gute, eine heitere Seite abgewinnt. Ströme von Segen gingen von ihrer fleißigen Feder aus in den harten, wehen Kriegsjahren, – wie viel Versöhnung und Erquickung hat sie in die Schützengräben, in die Lazarette, den Verzagten und Traurigen ge­bracht. Ihr goldner Humor sprüht wie der Diamant in tausend Lichtern und ihre Art, uns das, was sie erschaut und empfindet, nahe zu bringen, ist so ur­sprünglich frisch, so originell wie „direkt vom Himmel heruntergefallen“. Ihre Lyrik ist duftig-zart; eine reiche, reine Empfindungswelt spiegelt sich in ihren Gedichten wieder. Was den Einzelnen quält und bedrückt, erhebt und be­wegt, findet in dem Herzen der Dichterin lebhaften Widerhall und eine feine schöpferische Gestaltungskraft, die ihr eigen ist, vermag uns das nahe zu bringen. Alle Saiten des Gemütes klingen mit. Eine echt deutsche Innerlich­keit, eine abgeklärte Stille der Seele spricht aus ihrer duftigen Poesie. Neben der Gemütstiefe verrät der schalkhafte lächelnde Humor auch die weisheits­volle Philosophin, wie beispielsweise in den neckischen Vierzeilern:

 

Laufe barfuß

und pfeife dir ein Liedchen dazu,

dann vertreibst du dir die Sorgen

und sparst auch die Schuhe.

 

Und steht auch kein Lachs

und kein Hecht auf deinem Tisch,

der Hering, guck,

der gehört ja auch zu den Fischen.

 

Blumen im Tod

die stimmen nicht heiter,

bring Blumen ins Leben,

sell (selbiges) ist gescheiter.

 

Das Leben ist kein Kinderspiel,

zu weinen, dazu gehört nicht viel,

doch fest gewehrt, und froh gelacht,

sell (selbiges) ist es, was den Menschen macht.

 

Ja, das „feste Wehren“ und „frohe Lachen“, das Lachen unter Tränen, das versteht sie aus dem eff-eff, unsere liebe Lina Sommer. Sie trifft da den Kern innerster Lebensweisheit, die gereift ist unter der Gluthitze des Lebens und Erleidens, wie der Wein in den sonnigen Rebhügeln unserer Pfälzer Heimat, deren treuestes, beredtes Kind sie ist.

 

Ein Beweis, wie gut sich Dialekt und Hochdeutsch in einander schicken, gibt das Gedicht „Die Appelfraa“. Es steht in dem Buch „E Pälzer Blumestreiß´l“, Verlag Braun und Schneider in München, spricht von Verzichten ohne Bitter­keit, von stiller Ergebung und Fügung in die Weltenwaltung, die eine Abklä­rung des inneren Menschen ergibt.

 

                           Die Appelfraa

 

                           Bei einem alten Mütterlein

                           kauft´ ich als Kind mir Äpfel ein

                           und sucht´ aus ihrem Korb heraus

                           mir stets die allerschönsten aus.

                           Der Apfelfrau war dies nicht recht,

                           sie schalt mich dann auch gar nicht schlecht:

                           "du frechi Krott, was fallt D'r ei(n),

                           's wärd nix erausg'sucht, meiner Trei

                           mer nemmt 's, aa wann 's äm nit recht basst,

                           wie 's unser Herrgott wachse lasst."

 

                           Warf mich das Schicksal hin und her,

                           war mir das Herz von Sorgen schwer

                           und sah ich alles trüb und grau,

                           da dacht ich an die Apfelfrau

                           und sprach zu mir: "was fallt der ei(n),

                           's wärd nix erausg'sucht, meiner Trei,

                           nemm 's halt, - aa wann der 's nit recht basst,

                           wie 's unser Herrgott wachse lasst."

 

Hier findet der Lina-Sommer-Humor seine kernige, bodenständige Prägung.

 

Wie der reine Lichtstrahl, in Farben zerlegt, deren eine Reihe aufweist, so ist auch das Talent unserer Dichterin mannigfaltig und vielgestaltig. Ihre güterei­che Mütterlichkeit spendet nicht nur uns Großen Freude und Erquickung, auch an die Kleinen wendet sie sich und erzählt ihnen und mit großem Jubel begrüßen die deutschen Kinder die meist im Verlag Richard Keutel in Lahr er­schienenen Bilder- und Märchenbücher. Ich erwähne diese später noch ge­nauer. Vorzüglich weiß sie den kindlichen Ton zu treffen, der unmittelbar zu den kleinen Herzen spricht. Einen fesselnden Zauber übt die Persönlichkeit der Dichterin auf ein unbefangenes Kindergemüt aus, das sich in ihrer Nähe seelenwohl fühlt. Ich habe das miterlebt. Ihre mütterliche Liebe befähigt sie ganz besonders, alles mit Liebe zu umfassen, denn nur die sind in Wahrheit mütterlich, die Opfer zu bringen verstehen. Dieses mütterlich-gebende Allge­fühl prägt sich in besonders feinsinniger Weise in dem Gedicht „Liedel klein“ (gedruckt in dem hochdeutschen Buch „Für Dich“, Verlag Richard Keutel, Lahr) aus:

 

Liedel klein

 

Wo schick ich es hin, mein Liedel klein ? –

zu dir !

ich kenne dich nicht, und du kennst mich nicht,

wir sahen uns nie von Angesicht,

wir haben uns nie gegeben die Hand

und sind uns doch vertraut und bekannt.

 

Was soll es bringen, mein Liedel klein ? –

zu dir ?

soll bringen Freud und Sonnenschein

zu allen Fenstern und Türen herein,

soll sagen mit hellem, frohen Mut:

grüß Gott, grüß Gott, Du ich bin dir gut,

und ich hab dich lieb, gelt, du weißt es ja,

wir kennen uns nicht und sind uns doch nah.

 

Hier schwingt das wundersam-mystische Geheimnis des Alls, die tiefinneren Beziehungen von Seele zu Seele, das Verbundensein, das schrankenlose Geben und Schenken, in ungewöhnlich starker, persönlich wirkender Art, die wie etwas Köstliches wirkt und Licht für den inneren Menschen, für den kampfreichen Tag gibt. Irgendwo ist eine königliche Seele, die hat dich lieb und die will dir Liebe, Güte und Freudigkeit schenken, soviel du nur im Her­zen aufnehmen kannst.

 

„Dass es so etwas gibt“, stammelte einmal eine arme, einsame Frau, gepackt durch diesen urmächtigen Eindruck, der ihr zum Erlebnis ward. Gesegnet die Frau, die so Köstliches bewirken kann! Ist es doch Vielen, die Lina Sommers Lyrik in sich aufnehmen, als strecke sich ihnen in das Dunkel ihres Daseins eine schwesterlich-mütterliche Hand entgegen. „Licht in meiner Finsternis“, schrieb ihr eine Blinde.

 

Hunderte haben sich den Kopf zerbrochen, wer sich unter dem Namen Lina Sommer verberge. Nach den urköstlichen, taufrischen, humorsprühenden Gedichten in den Fliegenden Blättern dachte man sich ein lustiges junges Mädel, „e goldigi Krott“ (ein goldiges Mädchen). Ehe ich die Freude hatte, sie persönlich kennen zu lernen, hörte ich viel darüber debattieren in Freundes­kreisen; die tiefer blicken konnten, sagten: „nein, diese abgeklärten Sachen bringt ein junges Mädel nicht fertig“. Ich hatte mir eine ganz bestimmte Vor­stellung von ihrer äußeren Erscheinung gemacht und er wurde mir zum Er­lebnis und zur inneren Bereicherung, der Tag, an dem ich ihr in die seelentie­fen Augen schauen, ihre lieben Hände drücken und mich an ihrem natürli­chen, schlichten Wesen erbauen durfte. Am originellsten gibt seiner Empfin­dung, als er sie im Jahre 1916 in Weinheim besuchte, der bekannte badische Dichter Fritz Römhildt-Romeo Ausdruck; er schrieb nämlich:

 

Wenn von der Lina Sommer

als was im Blättchen steht,

ein so ein liebes Gedichtlein

da habe ich halt meine Freude.

 

Die schreibt so schlicht, so goldig,

was die für Einfälle hat,

es ist gewiss ein junges Mädchen,

eine echte Pfälzer Krott.

 

Ich sehe ihre liebe Augen,

den kleinen Kirschenmund,

die Zöpfe an ihrem Köpfchen

und die Bäckchen rot und rund.

 

Nein, wie man sich kann irren,

es ist alles gar nicht wahr,

sie zählt schon über fünfzig

und hat melierte Haare.

 

Und das kleinst´ von ihren Kindern

ist längst schon konfirmiert,

doch wenn ihr glaubt, dass dadurch

die Frau bei mir verliert,

 

dann seid ihr lezz am Bändel,

jetzt habe ich sie erst recht gern,

für mich ist sie am Himmel

der schönste pfälzer Stern.

 

 

2. Ihr Leben

 

Unsere Lina Sommer – meine liebe, langjährige Bekannte – ist geboren „zu Speyer der alten Kaiserstadt“ am 8. Juli 1862 als älteste Tochter des Kauf­manns Jacob Wilhelm Müller und seiner Ehefrau Lina, geb. Antz aus Edenko­ben. Das katholische Vereinshaus in der Herdgasse ist ihr Elternhaus. Vater und Mutter stammten beide aus alten, seit vielen Generationen in der Pfalz ansässigen Familien. Der Name Antz lässt sich schon 1293 in Speyer nach­weisen, etwas später in Kaiserslautern. Bis 1475 kann der Stammbaum lückenlos zurückverfolgt werden. In der „Pfälzischen Heimatkunde“, Jahrgang XV, Heft 2/3 las ich nähere Aufzeichnungen darüber. Der älteste jetzt noch in der Pfalz lebende Vertreter der Familie, die dem bayerischen Staate viele hervorragende Beamte schenkte, ist Senatspräsident Heinrich von Antz in Zweibrücken, ein Vetter unserer Dichterin. Auch die Familie ihres Vaters ist echten pfälzer Blutes. Georg Roth, Schwanenwirt in Speyer und seine Ehe­frau Barbara von Berg aus Neustadt waren die Eltern von Lina Sommers resp. Lina Müllers Urgroßmutter. Deren Tochter heiratete den sog. „Rosen­müller“, Inh. Georg Müller in Speyer. Beide Eheleute starben kurz nacheinan­der mit Hinterlassung von sechs unmündigen Kindern im Jahre 1813 an der von den Franzosen eingeschleppten Pest. In Mannheim lebt noch, hochbe­tagt und vielen Pfälzern bekannt, der Vaterbruder (der Onkel Schorsch) unse­rer lieben Dichterin. Anno 1870 war er als freiwilliger Sanitäter mit in den Krieg gezogen und holte sich verschiedene Auszeichnungen.

 

Froh, glücklich und sorglos „wie die Vögel unter dem Himmel“, wie es Lina Sommer einmal selbst erzählt, und unter den denkbar glücklichsten Verhält­nissen, behütet von fürsorgenden Eltern, betreut von einer „grundgütigen“ Großmutter, die am Königsplätzel in Speyer nicht weit vom Elternhause wohnte, wuchsen die fünf Müller´s Kinder ins Leben hinein und tummelten sich übermütig in Haus, Hof und Garten. Lina und ihr Bruder Schorsch führ­ten Tagebücher und verbrachen in edlem Wettbewerb öfters schaurig-schöne Verslein. Im Gartenhäuschen eröffneten sie ein „Kaschberles- und Zauber-Theater“, in dem sich die kindlich schaffende Phantasie betätigen konnte. Der Eintrittspreis war auf einen Kreuzer festgesetzt, oder, wie es in dem selbstge­schriebenen Programm hieß:

 

„Wer aber keinen Kreuzer

dafor bezahlen kann,

von dem nehm ich auch Glicker

und Baweljotte an.                  (Papilotten = in Papier eingewickelte Bonbons)

 

Drei Jahre besuchte das Kind die Volksschule. In dem nahegelegenen „Dum­garten“ (Domgarten) wurden, wenn die Schule aus war, oft allerhand „Bosse und Schträäch“ ausgeführt. Später kam Lina in die Töchterschule und erlebte noch in Speyer den siebziger Krieg. Voll glühender Begeisterung konnte sich das Kind nicht genug tun in Aufopferung für die Verwundeten, die dort im La­zarett untergebracht waren. Sie stibitzte dem Vater Zigarren und was sonst nicht niet- und nagelfest war, brachte es ihnen und bat dann alle Abend den lieben Gott um Verzeihung. Aus jener Zeit stammen köstliche, kindlich-impul­sive Verslein über die Franzosen, die ich aber hier nicht wiedergeben kann. In ihren späteren Büchern „Vun allem ebbes“ (Hofbuchhändler Kayser in Kai­serslautern) und „Für Dich“ (Richard Keutel´s Verlag in Lahr) finden wir aller­liebste Erinnerungen aus den siebziger Jahren. Ein tiefes inneres Miterleben in Freud´ und Leid ging schon damals durch das Kinderherz. Sehr stolz war sie auf ihren „Onkel Schorsch“, der sich (bei Sedan) das Eiserne Kreuz ver­dient hatte. „Ätsch, ätsch, mei Unkel Schorsch hot´s eiserne Kreiz, und Dei­ner hot´s nit“, rief sie mal einer Freundin zu. Viel Talent zeigte sie auch im Fratzenschneiden und in der Beredsamkeit. „Alti Schtaatsprokuratern“ titulier­te sie ihr Bruder öfters. Erwähnen möchte ich noch, dass schon frühzeitig ein großes Verantwortlichkeitsgefühl in dem kleinen Mädchen lebte. Als die Eltern einst verreist waren und neu zugezogene Nachbarn Besuch machen wollten, wurden sie, zu ihrem großen Gaudium, von dem achtjährigen Kind mit den Worten empfangen: „Es tut mir sehr leid, die Eltern sind verreist, es ist nie­mand da als ich und die Kinder“. Mit diesen „Kindern“ meinte sie ihre drei jün­geren Geschwister. Die schönste Zeit im ganzen Jahr waren die Herbstferien, die Lina immer bei den Antz-Großeltern in Edenkoben verleben durfte. Da war alles, aber auch alles, was ein Kinderherz sich nur wünschen konnte und als älteste Enkelin wurde sie natürlich sehr verwöhnt. Der Edenkobener Ju­gend gegenüber spielte sie gern die „Städterin“ und als sie einmal stolz und hocherhobenen Hauptes in einem neuen Tunique-Kleidchen durch die Bahn­hofstraße schwänzelte, rief ihr eine Spielkameradin zu: „O Du iwerschbannti Gambel“! „Du aldi Landpomeranz, Du, was verschdehscht Du von der Mode“, fertigte sie den kleinen Neidhammel ab.

 

Im Jahre 1872 siedelte die Familie nach Mannheim über, es war ein schwe­rer, schwerer Abschied. Die Mädchen kamen dort in das Institut Keil, das auch schon ihre Mutter und deren vier Schwestern aus Edenkoben besucht hatten.

 

Jäh trat 1875 das erste Herzeleid an die Geschwister heran, sie verloren das Beste, was Kinder zu verlieren haben, die Mutter. Lina, als die Älteste litt am meisten darunter, aus dem lustigen Backfisch wurde ein stilles ernstes Mäd­chen. Das Müller´s Großmütterle zog ins Haus, um die Lücke weniger fühlbar zu machen. Später heiratete der Vater wieder, das Großmütterle ging nach Speyer zurück und nun wurde alles „ganz, ganz annerscht“. Die zweite Mutter war eine Frau von hervorragender Klugheit und großer Geistesbildung, dafür fehlten ihr aber Herzensbildung und Gemüt. Die Kinder „froren“ und „fürchte­ten sich“, allerdings nicht vor Strafe, sondern vor kalten, spitzen, höhnischen Worten, die so tief verwunden. Die Sonne war erloschen, ein kalter Wind wehte. Die „großen Kinder“ kamen nach und nach aus dem Vaterhause. Lina wirkte längere Jahre allgemein geliebt und verehrt als Erzieherin und Freun­din der Kinder in einer Familie in Würzburg, lernte den Segen treuer Pflichter­füllung kennen – und denkt heute noch gern an diese schöne verantwor­tungsvolle Zeit zurück.

 

Im Jahre 1887 schloss die Vierundzwanzigjährige den Bund der Ehe mit dem Fabrikbesitzer Adolf Sommer aus Braunschweig, der ein Sägewerk in Blan­kenburg a. Harz besaß, und aus der Lina Müller wurde nun unsere liebe Lina Sommer, eigentlich Zinke, genannt Sommer. Ein Vorfahr ihres Mannes, ein „studiosus medicinae Leopold, Theodor, Friedrich Zinke“ wurde nämlich i. J. 1791 von dem kinderlosen Hofrat Sommer in Braunschweig adoptiert unter der Bedingung, …„dass er sich hinfürder für sich und seine Nachkommen Zinke genannt Sommer nennen möge“. Eine im Familienbesitz befindliche, mit al­lem Zopf jener Zeit ausgestattete Urkunde, in welcher Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig und Lüneburg „aus landesherrlicher Macht und Gewalt zu Adoption und Namensveränderung seine Einwilligung erteilt“ gibt hierüber näheren Aufschluss. Auch die Familie ihres Mannes zählt viele be­deutende, hervorragende Mitglieder. In den weitesten Kreisen bekannt und verehrt durch seine wundervollen Kompositionen ist der Schwager unserer Lina Sommer, Prof. Dr. Hans Sommer in Braunschweig.

 

Nach ihrer Hochzeit im März 1887 siedelte die junge Frau nach ihrer neuen Heimat Blankenburg a. Harz über, wo sie an den verwaisten Kindern aus ih­res Mannes erster Ehe Mutterstelle übernahm. Wieder schien in innigem Fa­milienleben die Sonne des Glückes und der Fröhlichkeit, besonders als das erste Bübchen und Brüderchen Walter, der Abgott der älteren Geschwister, zur Welt kam.

 

Bald jedoch stiegen dunkle Wolken am Horizont auf. Schwere Verluste be­drohten die wirtschaftliche Existenz. Als im Laufe der Jahre zu all den ande­ren Schwierigkeiten auch noch eine Kesselexplosion kam, wodurch der Fa­brikbetrieb eine Zeit lang stillliegen musste, war der Zusammenbruch unver­meidlich. Geistig hochbegabt, von durchaus vornehmem Wesen und umfas­senden Kenntnissen auf jedem Gebiet, konnte sich ihr Gemahl nach dem Verlust des Sägewerkes und des ganzen Vermögens nur schwer in abhängi­ge Stellungen finden und es kamen harte, sorgenschwere Jahre. Dem Erst­ling waren zwei Brüder gefolgt. Ein kleines Töchterlein, der Augapfel der El­tern, starb im ersten Jahre, so dass auch dieses Herzeleid den Eltern nicht erspart blieb. Tapfer trug unsere Lina Sommer alles mit ihrem Mann, sie ent­lastete ihn, indem sie sich nach des Tages Mühe und Arbeit, nach Versorgung des Haushaltes und der Kinder mit Schriftstellerei befasste. Was sie früher zum Zeitvertreib getan, das wurde ihr nun zum lohnenden Erwerb. Sie schrieb sehr viel in Prosa und Hochdeutsch für den Stadtanzeiger zur Kölni­schen Zeitung (die Familie wohnte damals in Köln) sich selbst zum Trost, der Familie zur Stütze, den Lesern zur Freude. Alles, was sie in ihrer klaren Spra­che und Art verfasste, wurde angenommen. Kein Wunder, waren doch schon im Institut ihre Aufsätze den Schülerinnen der höheren Klassen immer als Muster hingestellt worden. Diese in Köln entstandenen Arbeiten waren noch nicht das Beste, was sie zu geben hatte, es sind nur Meilensteine auf dem Wege innerer Entwicklung, ein Schritt nach vorwärts und nach oben. Die Dichterin in ihr schlummerte noch, die reifte erst in der Gluthitze des Lebens. Weitere Belastungsproben und schwere Prüfungen harrten der tapferen Frau. Im Jahre 1904 starb ihr Mann, ihr Lebenskamerad, sie stand allein und mittel­los mit ihren drei Söhnen, „Buwe“, wie sie heute noch sagt, im Alter von 14, 10 und 4 Jahren. Zu der wehen Herzenswunde kamen große materielle Sor­gen, es galt, sich für jeden neuen Tag von neuem zu behaupten, zumal die Kinder doch auch etwas lernen sollten. Dies alles war nur möglich durch voll­ständiges Aufgeben des eigenen „Ichs“, durch Ausnützen nicht nur jeder Mi­nute, sondern jeder Sekunde. Bei Tag verrichtete sie lähmende, unbefriedi­gende, aufreibende Heimarbeit für ein Notariatsbüro, abends, wenn das Pen­sum erledigt war, wuchsen ihr Flügel, mit denen sie sich hoch über ihren nüchternen, grauen, mühseligen Alltag hinaufschwang. Diese Jahre nach dem Tode ihres Mannes, bis die Kinder einigermaßen herangewachsen wa­ren, sind wohl die schwersten im Leben unserer Lina Sommer gewesen. Ich weiß, sie will nicht viel davon gesprochen haben, aber es war eine Leistung, die weit und breit ihresgleichen sucht, zumal sie sich durch ein böses Herzlei­den oft nur mit Aufbietung der alleräußersten Kraft aufrecht halten konnte. An­dere wären in dieser Schwere des Daseins, in diesem erdrückenden Gleichmaß der Tage verbittert und mutlos geworden, sie nicht. Immer aufrecht und hoch trug sie den Kopf und lehrte auch ihre Buben, es so zu halten, trotz aller drückenden Sorgen. In der Enge und Dürftigkeit dieser Jahre wuchs sie weit hinaus über ihr schweres Schicksal und fand den Ausgleich in sich selbst. Sonderbar, je drückender die Sorgen, je dunkler die Zukunft, desto heller und reicher sprudelte der innere Quell. Gerade in dieser schweren Zeit schuf sie die fröhlichsten, herzerfrischendsten Gedichte und Humoresken, die, meist in den Fliegenden Blättern veröffentlicht, vielen zur Freude und Erquickung wur­den. Unter Tränen lachen, kein Mensch versteht es besser als sie.

 

Nach fünf langen, bangen Jahren war es ihr möglich, die drückende Heimar­beit abzustoßen. Sie hatte inzwischen fortlaufend zu tun, für einen großen Kunstverlag Texte zu lllustrationen, bekam Aufträge für feine künstlerische Reklame für die Firmen Pfaff in Kaiserslautern, Bleyle in Stuttgart, war inzwi­schen auch ständige Mitarbeiterin der Fliegenden Blätter und der Pfälzischen Rundschau geworden. Langsam besserte sich nun auch ihre finanzielle Lage, doch sie war noch nicht „über dem Berg“ und die Last, die sie trug, und die Arbeit, die sie leistete, waren wahrlich nicht gering. Als ihr ältester Sohn in München angestellt wurde, zog sie mit dem Jüngsten zu ihm, während der zweite sich in Karlsruhe zum Lehrer ausbildete. In München übernahm sie auch Übersetzungen. Ich stehe da vor einem Rätsel. Wie hat sie das alles gepackt und fertig gebracht, sie, die doch immer in erster Linie Hausfrau und Mutter war, und zwar eine vorbildliche, eine wahrhaft gute Mutter, die ausschließlich der Zukunft ihrer Söhne lebte.

 

Drei Jahre blieb sie in München, dann zog sie zu ihrem zweiten Sohn nach Weinheim, wo dieser nach glänzendem Examen inzwischen als Lehrer ange­stellt worden war und die mütterliche Fürsorge nun am nötigsten hatte. Ihr Äl­tester trat in einen industriellen Großbetrieb in der Oberpfalz, wo er sich schnell zu leitender Stellung emporarbeitete.

 

Sieben arbeitsreiche, oft durch Herzbeschwerden getrübte, aber reich geseg­nete Jahre verlebte sie unter lieben Menschen in dem hübschen Städtchen Weinheim an der Bergstraße, bis ihr ältester Sohn, der die kaufmännische Leitung der bekannten Ludowici-Werke in Jockgrim übernehmen sollte, sie wieder zurückrief. Ihr zweiter Sohn beabsichtigte, weiter zu studieren, was war da natürlicher, als dass sie gerne dem Ruf folgte, zumal sich unserer lie­ben Dichterin dadurch doch Gelegenheit bot, sich wieder in ihren alten Hei­mat, der sonnigen Pfalz, dem „gelobten Ländle“, wie sie sagt, niederzulassen. Auch hier offenbarte sie, was in ihrer Seele sang und klang. Sie kam nun in ruhigere Verhältnisse, hatte sich in Jockgrim vollständig eingelebt, da kam bald eine neue, schwere Prüfung für die „Sommerfrau“. Sie wurde krank, be­kam Blutvergiftung infolge von Ruhr, es stellten sich eine äußerst schmerz­hafte Regenbogenhaut-Entzündung und Verwachsungen in der Pupille ein, und so lag sie siebzehn lange Wochen, meist mit verbundenen Augen in dem Diakonissenhaus in Karlsruhe und war am Erblinden. Die Augen wurden wie­der besser, als Nachkrankheit folgte eine Gelenk-Entzündung, von der ein steifes Knie zurückblieb, so dass sie in ihrer Bewegungsfreiheit sehr behin­dert ist. Auch dieses Missgeschick ertrug und erträgt sie ohne Erbitterung, ohne jede Klage, bringt es sogar noch fertig, sich selbst zu verulken. Als ich mich mal nach ihrem Ergehen erkundigte, schickte sie mir das folgende

 

Selbstporträt:

 

Zwei handfeste Stöcke und an ihren Füßen

zwei große, gefütterte Schlappen,

in denen sie als in ihrer Stube

tut hickeln und humpeln und tappen,

 

eine schwarze Brille und ein Hörrohr dazu

und sonst noch Schlamassel und Kummer,

meine liebe Seele, sage, wer meinst du, wer das ist ?

es ist Dichterin, die Lina Sommer.

 

Ich kann nur sagen: wie stark, wie bewundernswert! „Ist es nicht genug, dass ich den Schlamassel hab´, soll ich vielleicht auch noch anderen das Herz schwerer machen“, äußerte sie sich.

 

Während ihrer Krankheit ging ihr stiller, lang gehegter, sehnlicher Herzens­wunsch in Erfüllung: ihr ältester Sohn brachte ihr eine liebe Schwiegertochter, zwar kein Pfälzer Kind, aber eine Tochter nach ihres Herzens Sinn. Glücklich über die Bereicherung ihres Familienglückes machte sie der jungen Frau, mit der sie die innigste Herzensfreundschaft und Gemeinschaft verbindet, Platz und siedelte ganz in das Heim des Diakonissenhauses in Karlsruhe über. Hier lebt sie nun in ihrem Einzelstübchen, die treffliche Mutter, die stille, vor­nehme, bescheidene grundgütige Frau mit dem reinen Herzen und dem goldnen Humor, der aus eignem Leid geboren, Tausende erquickt und aufge­richtet hat. Sie ist immer noch fleißig, beschenkt ihre Mitmenschen mit vollen Händen, hat ihre drei „Buwe“ (der zweitälteste hat inzwischen seinen Doktor gemacht und ist als Diplom-Handelslehrer in Ludwigshafen angestellt, der Jüngste besucht noch die Handels-Hochschule in Mannheim) in der Nähe, und fast jede Woche kommt eines der Kinder zur Mutter zu Besuch. Oft auch fährt Ludowici´s Kutsche vor und holt unsere liebe Dichterin, die Pfälzer Nachtigall, wie einer ihrer Landsleute sie nannte, in das Sommerhaus von Jockgrim zu kürzerem oder längeren Aufenthalt.

 

Ich wünsche ihr noch eine Reihe sonniger, sorgloser Jahre, Erstarkung ihrer Gesundheit, dass der goldne Lina-Sommer-Humor, der alles versteht und al­les entschuldigt, der mit dem einen Auge lacht und mit dem anderen weint, der in seinem innersten Wesen echte, lautere Religion ist, unserem Volk noch lange erhalten bleibe und zu seiner Gesundung beitrage! Frauen ihres Schla­ges tun uns heutzutage so bitter not.

 

 

3. Ihr Schaffen

 

Ich möchte mir wünschen, dass jedermann,

der ein Buch von mir liest, sich daran freuen kann;

und dass er, wenn auch nur für kurze Zeit,

seine Sorgen vergisst und sein Herzeleid,

und dass er beim Lesen fühlt: die das schrieb,

die denkt auch an mich und die hat mich lieb !

 

So schrieb mir einmal unsere liebe Dichterin und ich muss sagen, ja, wir füh­len aus jeder Zeile die große Menschenfreundin heraus.

 

Das erste Werkchen Lina Sommers erschien im Jahre 1904 in dem Verlag von Hofbuchhändler Kayser in Kaiserslautern unter dem Titel: „Schtillvergniegt“. Erfüllt von blitzblankem Humor in Reim und Prosa zog es hinaus und fand in ihrer engeren Heimat begeisterte Aufnahme. Es ist jetzt leider in der zweiten Auflage ausverkauft und wird vorläufig nicht mehr aufgelegt, da der größere Teil des Inhaltes in das ebenfalls bei Hermann Kayser in Kaisers­lautern erschienene Buch: „Vun allem ebbes“ aufgenommen wurde. Aus der Fülle des mannigfaltigen Stoffes möche ich nur das Kabinettstückchen „Die Pälzer Eck im Himmel“ hervorheben, zweifellos das Beste und Originellste, was je in Pfälzer Dialekt geschrieben wurde. Da lacht und hüpft und springt der gottgesegnete Pfälzer Humor in seiner urgesunden, urgelungenen, alles mit fortreißenden Art. Die Eingebung zu dieser Erzählung kam ihr an einem der wehesten, sorgenvollsten Tage ihres Lebens, an einem Tag, an dem die Zukunft grau in grau vor ihr lag, an dem sie an Gott, den Mitmenschen und sich selbst verzweifeln wollte.

 

Das zweite Buch hatte den Titel: „Nemm mich mit, es reut dich nit“, und es hat wahrhaft niemanden gereut, der es mitnahm. Es erschien bei Wilhelm Marnet in Neustadt und ist ebenfalls ausverkauft. Diesem Werkchen folgte das allerliebste Büchlein: „E Pälzer Blummeschtreißl“, Verlag Braun und Schneider, München. Eine „Herzenswohltat“, nannte es Carmen Sylva, und treffender kann man es nicht bezeichnen. In diesem silberhellen Humor badet sich die Seele gesund und rein und bekommt Kraft, sich aus dem grauen All­tag zu erheben in reinere Sphären. Wirkliche Perlen und einzig in ihrer Art sind die Gedichte: „Fahneweih“, „Kriegerfescht“, „Hochzig“, „Danzmusik“, „Der galant Reiwer“ und das so wehmütige, sinnige „Rekonterche“, auf das ich später noch zurückkommen werde. Es darf mit Fug und Recht gesagt werden, dass diese Schöpfungen zu dem anmutigsten, duftigsten, sinnigsten und auch tiefsten gehören, was je in Dialekt geschrieben wurde und geschrie­ben werden kann. Ganz prächtig und den Kern und Geist jeden Gedichtes treffend, haben die Münchener Künstler es in den Fliegenden Blättern illus­triert. Als Neunzehnjährige hatte unsere Lina Sommer bzw. Lina Müller ihren ersten Beitrag an die Fliegenden Blätter gesandt, deren treueste und beliebteste Mitarbeiterin sie später wurde. Sie schickte damals zwei kleine Gedichte ein und als diese angenommen wurden, lebte sie Tag und Nacht in Angst, dass nichts herauskäme, sie fürchtete die beißende Ironie ihrer zweiten Mut­ter, und fasste den Entschluss, nie mehr etwas an Zeitungen oder Zeitschrif­ten zu senden.

 

Der Verlag von Richard Keutel in Stuttgart, jetzt in Lahr, brachte das vierte Werkchen, das hochdeutsche Buch „Für Dich“ heraus. Neben guten lyri­schen Gedichten, (die Arbeit: „O wenn ich doch Frau Sonne wär“, ist unüber­trefflich) bringt es uns spannende Erzählungen in meisterhafter Form. Die Erinnerungen an anno 1870 und daran anknnüpfend an anno 1914 sind Doku­mente von großem Wert. Wie alles Sehen unserer Dichterin zum Erleben wird, davon hier nur ein kleines Beispiel. Sie erblickte einmal im Vorüberge­hen an einem Fenster eine alte Dame mit sinnendem, sympathischem Gesichtsausdruck. Sie versenkte sich in die Seele dieses Altchens und aus die­sem Erleben heraus schrieb sie das Gedicht:

 

In der Abendsonne

 

Im hohen Lehnstuhl im traulichen Stübchen,

bei der Abendsonne sinkendem Schein,

die Hände gefaltet,

den Blick in der Ferne,

ein feines, ein stilles Großmütterlein;

viel liebe alte vertraute Gestalten,

Gefährten aus glücklicher, sonniger Zeit

an ihrem Auge vorüberziehen,

hell leuchtet ihr die Vergangenheit;

sie alle, die längst ihr vorausgegangen,

von denen allein sie zurück noch blieb,

sie grüßen, sie nicken,

sie winken hinüber,

und machen das Scheiden ihr leicht und lieb.

 

Zwei herzerfrischende Dialektbücher „Pälzer Humor“ (Verlag Hofbuchhänd­ler Gutsch in Karlsruhe und „So Sache“ (Evangelischer Verlag Heidelberg) sind wahre Tröster in der Not und Trübsal unserer Tage. Mit soviel Liebe und Verständnis ist alles geschildert, die helle Schalkhaftigkeit leuchtet aus jeder Zeile.

 

Als frohbegrüßte Gabe erschien bei Braun und Schneider in München das Büchel „E klän Präsent“, als Fortsetzung vom „Pälzer Blummeschtreißl“. „Liebe Sommerfrau“, schrieb der Waldpfarrer und Dichter Karl Ernst Knodt, „mit dem kläne Präsent haben Sie mir ein großes Präsent gemacht“. Ganz unmittelbar nahe tritt uns die Verfasserin schon in der Einleitung. Wie be­glückend und wohltuend der Gedanke: da ist noch jemand, der dich versteht, der dir die Hand reicht, in unserer Zeit, wo jeder sich in sich selbst ver­schließt, wo wir immer einsamer werden! In dem Büchel weint und lacht und singt und klingt es, und tausend neckische Kobolde treiben darin ihr Wesen. Liest man so ein Büchel, so ist man geneigt, zu denken, das muss aus eitel Luft und Herrlichkeit geboren sein, und gedenkt nicht der Tränen, die beim Miterleben der ernsten Sachen geflossen sind und des kärglichen, materiel­len Lohnes.

 

Sehr bekannt in den weitesten Kreisen wurde unsere Lina Sommer durch Herausgabe des einzigartigen Buches: „Aus den Briefen einer einsamen Königin“, Verlag Braun und Schneider in München. Als das bereits erwähnte Gedicht „S Rekonterche“ illustriert von Professor Simm in München in den Fliegenden Blättern erschien, erbat Königin Elisabeth von Rumänien, geb. Prinzessin von Wied, von der Redaktion die Adresse der Autorin. Kurze Zeit darauf traf aus dem königl. Schloss in Bukarest ein großes Bild mit lieben, trauten Worten der Frau Königin bei Lina Sommer in Weinheim ein und die­ser Gruß führte zu einem regen Briefwechsel der beiden Frauen, der erst mit dem Tode der Königin Elisabeth endete. Fast in jedem Briefe dankte Carmen Sylva der Schwester in Apoll für all den Sonnenschein, den sie in ihr Leben brachte, und freute sich lebhaft auf ein Zusammenleben für einige Zeit „nach dem Kriege“, in ihrem Schloss Segenhaus bei Neuwied. Doch auch das hat „das Lewe nit gewollt“, die grunddeutsche Frau wurde abgerufen zum ewigen Frieden, ehe sich die Rumänen zu unseren Feinden schlugen. So blieb ihr eine wehe Herzenswunde erspart. Um unserem Volk das Wesen dieser kern­deutschen Fürstin in seiner kristallhellen Reinheit zu offenbaren, stellte unse­re Lina Sommer in vornehm-diskreter, nur allzu bescheidener Art, einen Aus­zug aus dem hochinteressanten Briefwechsel zusammen. Das sinnige Werk erlebte in kurzer Zeit sieben Auflagen. Wer Gelegenheit hatte, einige der Brie­fe unverkürzt zu lesen, kann nur sehr beklagen, dass so vieles, namentlich was sich auf die persönliche Freundschaft bezog, weggelassen ist. Darüber zur Rede gestellt, entschuldigte sich die Sommerfrau: „Lieber viel zu wenig, als ein Wort zu viel von dem, was die Seele zur Seele spricht“. Frauen-Bre­vier nannte ein Pädagoge das Werkchen. Bei und mit den Prinzessinnen von Wied, den Nichten der Frau Königin, auf Schloss Waldheim bei Neuwied und auf Schloss Segenhaus verlebte unsere Dichterin wunderschöne, beglücken­de Tage, die dem Andenken Carmen Sylva´s geweiht waren. Gottlob, dass es auch noch Menschen gibt, die Erinnerung und Andenken hoch halten, im Ge­gensatz zu der Gepflogenheit, die Lina Sommer in ihrem Gedicht: „Allerhand Betrachtung“ so wahr und wehmutsvoll ausdrückt:

 

Beim Schicksal vun dem Weihnachtsbämche,

do schtell ich die Betrachtung an:

wie bald is aa der Mensch vergesse,

wann er sei Schuldigkeit gedhan.

 

Hier klingt eine Anklage, die besonders in unseren Tagen, wo die Besten, die in dem entsetzlichen Völkerringen ihr Leben gelassen haben, so rasch ver­gessen sind, berechtigt ist.

 

Mit dem vorhin erwähnten Professor Simm verband unsere Dichterin, in fei­nem, stillen Verstehen, ein reger Briefwechsel und langjährige Freundschaft, obgleich sie sich nicht persönlich kannten. Niemand verstand es besser, illus­trierend auf die Gedichte einzugehen als dieser feinsinnige Mensch und Künstler. Die meisten Bilder im „Kläne Präsent“ und im „Blummeschtreißl“ stammen von ihm, entzückt weilt das Auge auf „Abendsonne“, „Dante Mal­che“, „Ihr erster Gedanke“, „Einquartierung“ usw. Viel Schönes war noch ge­plant – eine Serie Künstler-Postkarten, eine Sommer-Simm-Mappe – bis auch dieser gemeinschaftlichen Arbeit der Tod jäh ein Ziel setzte.

 

Letztes Jahr, zu Weihnachten 1920, gab ihr erster Verleger, Hermann Kayser in Kaiserslautern, unter dem Titel: „Vun allem ebbes“ ein Sammelwerkchen heraus, das glänzend besprochen und begeistert aufgenommen wurde. „Die­ses Buch gehört in Gold eingefasst“, schrieb mir eine Deutsch-Amerikanerin, geb. Pfälzerin, die schwer krank in einer Klinik lag und erzählte, dass sie, nachdem sie einige Seiten gelesen, wieder den Mut und den Willen zum Le­ben gefunden hatte.

 

Der gleiche Verlag, Hermann Kayser in Kaiserslautern, bereitet gegenwärtig ein neues Lina-Sommer-Buch vor, unter dem Titel: „Wisseblumme“ (Wie­senblumen) und auch Richard Keutel in Lahr bringt ein neues Werkchen: „Grüß Gott“, hochdeutsche Gedichte. Ich zweifle nicht, dass auch diese bei­den Sachen willkommene Aufnahme finden und den Freundeskreis der Som­merfrau noch erweitern werden. Wie kraftvoll klingt das Gedicht: „Ich wollt, ich wär aus Eisen“. Hier bestätigt sich der Wille, tätigen Anteil an dem inneren Wiederaufbau unseres Volkes zu nehmen.

 

Auch die Kinderwelt hat unsere Lina Sommer in ihrer warmen Mütterlichkeit nicht vergessen. Wiederum im Verlag von Richard Keutel in Lahr erschien zu billigem Preise eine Serie (6 Stück) Lina-Sommer-Büchlein, die in vielen Hun­derttausenden von Exemplaren das Entzücken der lieben Jugend bilden und erzieherisch wirken. Moral, ohne Moral zu predigen. Auch große Kinder, Men­schen, die sich ein reines Herz und frohen Sinn bewahrt haben, finden ihre Freude an den allerliebsten Sachen. Der bekannte Komponist Dr. Martin Pla­nitz in Leipzig vertonte eine Anzahl der Geidchte und gab unter dem Titel: „Schnick und Schnack fürs kleine Pack“ ein vielbegehrtes Liederheft heraus.

 

Für die Kleinsten schuf unsere fleißige Schriftstellerin wunderhübsche Bilder­bücher: „Magister Fuchs“, „Im Himmelland“, „Bei Großmama“, die sämt­lich bei Keutel in Lahr verlegt sind. Erwähnen möchte ich noch eine Serie reizender Kinderpostkarten, sowie eine Serie Spruchkarten für Erwachsene mit sinnigen, seelenvollen Gedichten.

 

Als innerlich reiche, vielseitig schaffende und vielseitig wirkende Persönlich­keit kennen wir unsere liebe Sommerfrau und wenn ich nun hier die Frage aufwerfe, auf welchem Gebiet ihre Hauptstärke liegt, ob in ihrer Lyrik, in ihrer Prosa, in der sie das kostbare Instrument unserer deutschen Sprache be­herrscht, in ihrer Jugendliteratur, oder in ihren köstlichen Dialektschöpfungen – ich vermag die Frage nicht zu entscheiden, weil sie auf all diesen Gebieten Vortreffliches schafft und leistet. Ich weiß nur, dass mir und vielen Anderen al­les gleich lieb und wert ist. Wie sie sich als Frau, als Hausfrau, als Erzieherin ihrer prächtigen Söhne, als Kämpferin im Leben bewährt hat, so auch in ih­rem Beruf. Immer ist und war sie die tüchtige, fleißige, liebreich-gütige, be­scheidene und abgeklärte Persönlichkeit, eine Lebenskünstlerin, berufen und bestrebt, unserem Volk, ihrer engeren und weiteren Heimat ertwas zu sein, etwas zu geben.

 

So sollen diese Zeilen als lieber Gruß an ihre Freunde und Freundinnen hin­ausgehen, die etwas über das Leben und das Schaffen unserer Pfälzer Dich­terin von mir zu wissen begehrten. Mit tiefer, innerer Freude folgte ich der Bit­te, ein kleines Lebensbild von der Sommerfrau zu zeichnen, die mir zur Freu­de und zum Segen wurde. Ein herzlich „Grüß Gott“ für sie und für alle, die ihr innerlich nahe stehen.

 

Mit ihrem kleinen Gedicht „Getrost“, das sie mir mal in einen Brief einlegte, schließe ich das Büchlein. Hab Dank für alles, was du mir gegeben und mö­gest du noch recht viel singen und schaffen. Du liebe Lina Sommer, Du!

 

Getrost

 

Halt des Herzens Türe

offen jederzeit,

sei den Weggenossen

Stütz und Stab im Leid.

 

Sorge, dass Dein Leben

möge leis und rein,

friedlich, lichtdurchflutet

und harmonisch sein.

 

Dann lass nach dem Tode

kommen was da mag, – –

wie das Lied erklungen,

so nur klingt es nach.