Im Vorübergehn I (Im Voriwwergehe)
aus: E klän Präsent
(in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten)
Bin heute durch eine Gasse geschlendert
in einem Städtchen, klein und alt,
da kommt, zierlich und manierlich,
so eine schmächtige Gestalt,
das Gesichtlein eingerahmt von Locken,
und so gut, so lieb, so zart,
so eine feine, so eine reine,
so eine ganz aparte Art.
Dünne Zeugschuh an den Füßchen
und ein Röckchen mit einer Schleppe,
ein geflicktes Seiden-Blüschen
und ein Hütchen, alt und schepp.
Und einen Mantel, so verschossen,
so gestopft, dass Gott erbarm,
trotz der offenbaren Armut
doch ein ausgeprägter Charme.
Armes, liebes, feines Altchen,
habe ich still bei mir gedacht
Dir auch hat gewiss das Leben
nichts erspart und nichts geschenkt.
Gerne hätte ich ein Wörtlein gesprochen,
doch es ist mir nicht geglückt,
leise nur, im Vorübergehen,
habe ich die schmale Hand gedrückt.
Lina Sommer