O, wenn ich doch Frau Sonne wär

aus: Im Vorübergehn

(hochdeutsch)

 

O, wenn ich doch Frau Sonne wär

nur einen einzigen Tag,

dann sucht´ ich alle Menschen auf,

die mutlos, müd und zag.

 

Die hellsten Strahlen schickte ich

- dies sollt´ mein erstes sein -

wo Krankheit, Not und Sorge herrscht

in dunkle Kämmerlein.

 

Dann ging ich auf die Kinder zu

in Dorf und Stadt und Wald,

durchflutete jed´ junges Herz,

dass niemals es erkalt´.

 

Ich blickte jeder, jeder Frau

so tief ins Aug´ hinein,

dass sie stets Sonnenspenderin

für Mann und Kind müsst sein.

 

Ich küsste jedes Greisenpaar,

das sich vergessen wähnt,

sich wegemüd, im weißen Haar,

nach Ruh und Frieden sehnt.

 

Und eh´ ich dann beendete

den raschen Tageslauf,

trüg ich die Müden sanft und sacht

zum lieben Gott hinauf.

 

O, wenn ich doch Frau Sonne wär

nur einen einzigen Tag –

wie wollt ich segnen Jung und Alt

und wenden Leid und Plag.

 

Lina Sommer