Beim Hopfen zupfen

aus: Hausapothek

in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten

 

Meinem Elternhaus in Speyer gegenüber war die Brauerei zum „Roten Löwen“ von Schwesingers. Die haben auch Kinder gehabt im Alter von mir und meinen Geschwistern, und so sind wir als miteinander in die Kinderschule und später in die „Lernschule“ getrosst und wieder heim.


An einem schönen Tag sagt das älteste Schwesingerlein zu mir: „Du, Linchen, höre einmal, wenn du dir etwas verdienen willst, dann komme heute nach dem Mittagessen herüber in unseren Hof und helfe Hopfen zupfen. Mein Vater hat gesagt, ich soll Kinder mitbringen, je mehr, desto lieber, und wer von eins bis um sieben hilft, der kriegt einen Sechser.“ (Gleich sechs Kreuzer, seit der Münzwährung von 1871 so viel wie zwanzig Pfennig.)

 

Wer wird sich als Kind, besonders wenn die Messe vor der Tür steht, kein Geld verdienen wollen? Ich habe also dem Schwesingerlein „auf Ehre und Seligkeit“ versprochen, dass ich für „ganz gewiss“ kommen täte und habe mir schon „im Stillen“ überlegt, wie ich meinen Reichtum anlegen wollte. Einen Kreuzer für die Reitschule, einen Kreuzer für eine Zuckerstange und dann einen Batzen (das waren vier Kreuzer) für etwas an dem Stand zu kaufen, an dem angeschrieben war:

 

„Einen Batzen Stück für Stück,

wer nichts kauft, der geh zurück.“

 

So habe ich mir es eingeteilt.


Beim Mittagessen habe ich vor lauter Vorfreude meinen Schnabel nicht halten können, und wie ich dann erzähle, dass ich von eins bis um sieben zu Schwesingers gehen täte zum Hopfen zupfen, sagt mein Papa: „Was sind das für Sachen; du gehst mir beileibe nicht in´s Schwesingers, verstanden?“

 

„Warum denn nicht, Papa? Gucke, ich habe es ja fest versprochen“ – „Versprochen hin – versprochen her – hättest du mich halt zuerst gefragt. Das ist kein Geschäft für dich – du bleibst daheim.“ Ich habe angefangen zu weinen, es hat aber alles nichts genützt, und wie dann der Papa um halb vier aus dem Kontor heraufgekommen ist zum Kaffee trinken, bin ich so still und brav da gesessen, wie wenn ich kein Wässerchen trüben könnte.

 

Unterdessen habe ich mir, für den Fall, dass ich erwischt werden täte, die Ausrede zurechtgelegt, dass mein Papa ja nur verboten hätte, von eins bis sieben zum Hopfen zupfen zu gehen, und flink wie ein Wiesel bin ich hinüber gewitscht in´s Schwesingers ihren Hof, wo eine ganze Masse alte Weiber und Spitäler beisammen gesessen sind, habe mich in das hinterste Eck(el)chen geduckt, und war fleißiger bei der Arbeit wie alle die anderen.

 

„Doch mit des Geschickes Mächten“ – so nach den sechs(e) höre ich auf einmal unsere Babette rufen: „So, Linchen, da steckst du ! – du sollst standepede heim kommen zu deinem Papa, er steht schon unter dem Hoftor, – warte nur.


Ich also mein Schürzlein ausgeschüttelt, mich abgeputzt, zum Herrn Schwesinger  in die Wirtsstube gegangen und gesagt, ich müsste früher heim, und er möchte doch so gut sein, mir meinen „Verdienst“ zu geben.

 

„Eigentlich“, hat er gelacht, „hättest du nur zwei Kreuzer zu kriegen – aber, weil du es bist, – da hast du einen Groschen!“


Mein Papa hat mich in Empfang und beim Ohrläppchen genommen, hat mich gefragt, wie ich so charakterlos sein könnte, und wie ich anfangen will, mich zu entschuldigen, donnert er mich an, ich sollte mich schämen, und sollte aufhören, mich zu verdeffendieren.

 

„Oh, Papa“, habe ich gesagt, „es war ja so schön – schade, dass du nicht dabei gewesen bist. Gucke, da waren so alte Weiber aus dem Spital und die haben erzählt von Geistern und Räubern und Mördern, und von Ehebrechern und von Kindbetten.“

 

„Jerem, jerem, sei mir still“, entsetzt sich mein Papa und wehrt mit den zwei Händen, „in so eine Gesellschaft bist du mir geraten. Und weise einmal, was hast du denn da in der Hand?“


„Meinen verdienten Groschen.“

 

„Her mit dem Sündengeld, dass ich es dem ersten, besten Bettelmann gebe, und jetzt schasse dich, und komme mir heute nicht mehr vor die Augen.“

 

Unser Papa, der immer so besorgt gewesen ist um das Seelenheil von seinen Kindern, hat aber, scheint es, doch gemerkt, dass ich bei dieser Unterhaltung von den Mördern und den Ehebrechern und Kindbetten keinen Schaden genommen habe, und hat mich wieder so voll Wohlwollen angeguckt wie vorher auch.

 

So ist die Messe gekommen – er hat jedem von uns drei Kreuzer gegeben – und da habe ich gesagt: „Papa, du bist mir eigentlich noch einen Groschen schuldig, von neulich – gehe, gib ihn mir doch – ich verspreche dir auch, dass ich in meinem ganzen Leben nicht mehr zum Hopfen zupfen gehe.“

 

Diesen Papa möchte ich sehen, der wo seinem ältesten, achtjährigen Töchterlein, zumal wenn es eine liebe, lustige Krott ist mit blanken Augen, und ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, einen Wunsch versagen könnte.

 

Sechs Kreuzer Messgeld vom Papa, drei von der Mama, drei vom Großmutterlein, einen von der Babette, – ihr lieben Leute, was kostet die Welt ? – Ich kaufe sie.

 

Lina Sommer

 

Originalschreibweise folgt.