Sparsamkeit

aus: Dess un Sell

aus: Hausapothek

in Mundart zu lesen - Originalschreibweise siehe unten


So eine fleißige, tüchtige und sparsame Frau wie die Madame Akziser (= Steuereinnehmer) gibt es doch weit und breit keine mehr. Es tut aber auch so not. Du lieber Himmel, sechs gesunde, lebendige Kinder in dieser armen Zeit nur einigermaßen satt zu kriegen und ihre Kleider und Schuhe instand zu halten, das geht doch oft über Menschen- , sogar über Mutterkraft – und die Mütter bringen doch wahrhaftig alles Menschenmögliche fertig. Jetzt – um nur eins zu erzählen – die letzte Woche kramt die Mama im Winterkoffer herum, da findet sie noch so eine Schote roten spanischen Pfeffer, wo man als früher gegen die Motten verwendet hat.

 

„Jerem, jerem“, hat sie gedacht und mit dem ganzen Gesicht gelacht, „ich bin ja reicher, als ich gewusst habe. Jetzt weiß ich doch, was ich morgen zu Mittag koche.“ Und wie sie dann am anderen Tag Gequellte auf den Tisch gestellt hat und so eine dicke, rotbraune Soße dazu, da sagt sie zu ihren Leuten: „Passt auf, passt auf, was wir heute für ein delikates Gulasch haben – sogar mit Paprika – wer kann sich das noch leisten außer uns ? Es fehlt nichts als das Fleisch und das denken wir uns dazu.“

 

Jetzt ist der Herr Akziser krank geworden – er hat sich arg erkältet, es war ihm gotts-erbärmlich zumute und er hätte so gerne den Herrn Doktor gehabt, dass er ihm Medizin verschreibt. Da ist der Mama ein Stein auf das Herz gefallen. Doktor – Medizin – woher das Geld nehmen, und doch hätte sie ihrem guten August so gerne den Willen getan.

 

Obschon sie gewusst hat, dass in ihrer Hausapotheke keine Vorräte mehr waren, schließt sie doch das Schränkchen auf und nimmt alle die Fläschchen in die Hand. Nein – so ein Glück, – in jedem waren noch ein bis zwei Tropfen drinnen. Sie schüttelt also die Gläschen aus Leibeskräften und lässt den Inhalt von jedem in eine Tasse laufen. Zuerst das Rizinusöl – das waren noch so zwei fette, helle Tropfen, – dann süßes Mandelöl – zwei Hoffmannstropfen, ein Baldriantropfen, ein bisschen Hustensaft, ein kleiner Rest Gurgelwasser, ein bisschen Salzsäure – und dort, da waren wahrhaftig noch drei Choleratropfen in selbigem kleinen Fläschchen.

 

Jetzt hat sie angefangen, das Zeug zu rühren und zu rühren, bis es ein bisschen gebunden war, hat es ihrem August gebracht und hat gesagt: „Komme, Alterle, schlucke – Medizin ist Medizin.“

 

Wie die Brühe dem Herrn Akziser bekommen ist, weiß ich freilich nicht. Ich weiß nur so viel, dass er nicht daran gestorben ist, denn ich habe ihn erst am Sonntag mit seiner Frau und seinen sechs Kinder spazieren gehen gesehen.

 

Lina Sommer


Originalschreibweise folgt.